mehr hacks! von WIGLAF DROSTE:
Einmal im Jahr steht etwas Lesenswertes in der Zeit. 2004 kam das singuläre Stück auf den letzten Drücker: In der Ausgabe vom 30. 12. veröffentlichte Martin Mosebach eine Selbstbefragung über Peter Hacks. Mosebach, trotz seiner angenehm kühl servierten Klugheit konsensfähig im deutschen Feuilleton, empfahl zur Lektüre vor allem Hacks’ Aufsätze, „Die Maßgaben der Kunst“.
Wer Mosebachs Vorschlag befolgt, wird Verstand und Sprache schärfen; ich möchte die Empfehlung ausdehnen und die Gedichte und die Kindererzählungen von Hacks nicht minder preisen. Die wahrhaftigsten deutschsprachigen Liebesgedichte schrieb Hacks; „Seit du dabist“ heißt eines und geht so: „Seit du dabist auf der Welt, / Seit du mit mir lachst und schweigest, / Seit du mit mir liegst und steigest, / Seit auf dich mein Jammer fällt // Und in blöder Tage Lauf / Kämpfend du mit mir ermüdest, / Lächelnd, Himmlische, als lüdest / Du dir eitel Wonne auf, // Weiß ich endlich, was mich hält, / Daß ich nicht in Tollheit ende / Ganz verbindlich schüttl’ ich Hände / Seit du dabist auf der Welt.“
Wie klug war Hacks, und wie stumpfmatisch ist das Deutschland nach 1989! Was man hier an öffentlichen Debatten geboten bekommt, ist so aufgeblasen wie armselig. Über Kruzifixe und Kopftücher wird gestritten, als lebe man vor ein paar hundert Jahren; Hacks brauchte 20 Silben, um das Notwendige über unzivilisiertes Gläubischsein jeder Couleur zu sagen: „Die Glocke stört, es stört der Muezzin. / Man bringe sie zum Schweigen, die wie ihn.“
Immer lohnt es, die „Kinderkurzweil“ von Hacks zur Hand zu nehmen und beispielsweise „Pieter Welschkraut“ zu lesen, das Märchen vom jungen Riesen. Mit blödem Schicksal lässt sich Pieter Welschkraut nicht abspeisen; er zeigt, wie man mit Fatum, Kismet und dergleichen Schwindel fertig wird: „Sie fanden die Anschrift des Schicksals unter der Zeile ‚Bürgerdienst‘, hinten in den gelben Seiten. Es war aufgeführt zwischen ‚Schicklichkeitsaufsicht‘ und ‚Schiffahrtsamt‘. Pieter Welschkraut gelangte zu einem ansehnlichen Gebäude. Ein Pförtner sagte ihm die Zimmernummer. Nachdem er ein paar Treppen und nicht wenig Flure zurückgelegt hatte, fand er die rechte Tür. Das Schicksal war ein trockenes Männchen mit blöden Augen. Es saß am Schreibtisch, ein Buch vor sich. ‚Es handelt sich um eine Beschwerde‘, sagte Pieter. ‚Ihr Name?‘, fragte das Schicksal. ‚Pieter Welschkraut‘, sagte Pieter. Das Schicksal blätterte in seinem Buch. ‚Schlagen wir nach‘, sagte es, ‚was für Sie vorgesehen ist.‘ ‚Ich will nicht wissen, was vorgesehen ist‘, sagte Pieter. ‚Ich will das Schicksal selber in die Hand nehmen.‘ Pieter Welschkraut nahm das Schicksal in die Hand. Oben sah der Kopf heraus und zeterte, unten die strampelnden Beinchen. Pieter Welschkraut drückte zu und warf das Schicksal in die Ecke. Da lag es ohnmächtig und rührte sich nicht mehr. Pieter Welschkraut stand in seinem fünften Lebenstag, als sich das begab. Als er das Gebäude verließ, waren viele Fußgänger im Begriff, ihren Regenschirm zuzuklappen. Das Wetter fing bereits an, besser zu werden.“
Wer Hacks liest, ist auch gegen die Dummheiten des neuen Jahres gewappnet.
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