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materialermüdung

von FANNY MÜLLER

Wenn man erst mal 40 ist, kann auch sein, etwas darüber, passiert an einem einzigen Montag folgendes: Man hat sich fröstelnd zur Arbeit begeben. Kurz vor der Mittagspause macht es nahe dem rechten Auge „ping“. Die Brille ist in zwei Stücke zerbrochen. Einfach so. Materialermüdung?

Da schräg gegenüber meinem Arbeitsplatz der Arbeitsplatz von Peter ist, der sich neuerdings „Logistics“ nennt, fragt man ihn nach Sekundenkleber. Er hat keinen und schickt einen eine Etage tiefer zu Tommy, ebenfalls Logistics. Tommy hat auch keinen Sekundenkleber, aber dafür Araldit Zweikomponentenkleber. Unter lautstarker Assistenz von Peter und Hansruedi, der dritte Mann in der Logistik (ein Schweizer, der immer sagt: „Ich gehe jetzt zur Bankch, odr?“ Ich frage ihn dann: „Ja was – gehst du jetzt oder gehst du nicht?“ Er: „Ich gehe, odr?“ Danach gebe ich es meistens auf) – unter der Assistenz von zwei anderen Männern also wird nun bedächtig die Gebrauchsanweisung gelesen, gemütvoll die Tube geöffnet, umsichtig werden zwei Komponenten gemischt und das Ganze auf die Bruchstelle aufgetragen. Alle fingern drein. Minuten vergehen. Sechs Hände klatschen begeistert. Dann geht man in die Mittagspause, damit die Brille Zeit zum Härten hat. Nach der Mittagspause kann man die Brille aufsetzen. Es dauert fünf Minuten, dann sinkt das rechte Glas still ab. Also nach Hause, denn ohne Brille ist man nicht arbeitsfähig, und auf dem Heimweg direkt zum Optiker.

Der Optiker hat zu, denn es ist Montag und er hatte am Samstag auf. Nach Hause. Ersatzbrille suchen, was ohne Brille schrecklich ist, aber sicher lustig aussieht, wenn man bloß Zuschauer ist. Da man nun unverhofft so früh daheim ist, kann man die Zeit ja auch sinnvoll nutzen und noch zur Bücherhalle gehen. Bücherhalle hat zu, denn es ist Montag; sie hatte zwar am Samstag auch nicht auf, aber heute macht sie Inventur. Wieder nach Hause. Erschöpft und verdächtig erhitzt. Also Fieber messen. Nahe der rechten Hand macht es „ping“. Das Thermometer zersplittert in eine Million Einzelteile. Materialermüdung?

Die nächste halbe Stunde geht drauf mit Quecksilberkügelchen zusammenschieben und Glassplitter auftupfen. Das Ganze in ein Schraubglas stecken, und bevor man zur Apotheke loszieht, um die Schweinerei wenigstens richtig entsorgt zu haben, fällt einem ein, dass die Apotheke zu hat. Nicht weil Montag ist, sondern weil es 19 Uhr 58 ist. Okay, Abendbrot. Für die Läden ist es nun auch zu spät, aber als umsichtige Hausfrau hat man ja immer was da. Gammeliges Gemüse zum Beispiel, das man in den Dampfkochtopf wirft, damit es nicht so lange dauert. Weil man ungeduldig ist, prüft man das Ventil gern mit dem Finger. Nahe diesem macht es „ping“. Das Ventil ist hin. Materialermüdung?

Die totale Schadenssumme des Tages beläuft sich über den Daumen gepeilt auf rund 500 Euro. Man geht ein wenig deprimiert zu Bett. Bevor man das Bett besteigt, rutscht man auf dem Läufer aus. „Pong“ macht es. Das ist jetzt aber der Musikantenknochen. Materialermüdung, odr?

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