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Archiv-Artikel

mail aus manila Der Cyber-Tsunami

Auch der Cyberspace braucht reale Kabel. Reißen sie, etwa nach einem Seebeben, kann man sich sehr abgeschnitten fühlen

Am Morgen, nachdem wir aus dem Weihnachtsurlaub zurück gekommen sind, will ich meine E-Mails durchschauen. Dafür muss man sie allerdings erst mal runterladen. Aber warum dauert das heute nur so lange?

Dank einer neuen DSL-Verbindung ist das normalerweise in wenigen Sekunden erledigt, aber nun steht da schon seit fünf Minuten „Downloading 72 messages“. Als gegen Mittag immer noch keine einzige E-Mail auf meinem Computer angekommen ist, rufe ich beim Kundendienst an. Ja, ja, im Augenblick könnte es schon etwas länger dauern, erfahre ich, aber für genauere Details ist das „E-Mail Department“ zuständig. Das würde mich wegen meiner Probleme umgehend zurückrufen. Diese Abteilung kenne ich schon. Das „E-Mail Department“ ist eine Geheimgesellschaft, die so top secret ist, dass sie noch nicht mal ein Telefon hat. Jedenfalls keins, dessen Nummer ich haben darf. Nein, nein, heißt es immer, die Abteilung ruft zurück. Und dann hört man nie wieder von ihr.

So auch diesmal. Als ich nachmittags um drei immer noch nichts gehört habe, rufe ich noch einmal beim Kundendienst an. Eine Stimme vom Band informiert mich nun, dass es „zurzeit zu Verzögerungen im Internetverkehr“ kommen kann. Der Grund sei ein Seebeben vor Taiwan, bei dem einige Untersee-Telekommunikationskabel zerrissen seien. Jetzt erinnere ich mich, dass ich im Urlaub darüber in der Zeitung gelesen habe. Aber das war vor mehr als einer Woche!

Ich suche etwas herum auf Webseiten, die sich im Zeitlupentempo aufbauen. Als am 27. Dezember die Leitungen kaputt gingen, die große Teile Südostasiens mit dem Rest der Welt verbinden, hatten einige Länder in der Region erst mal gar kein Internet mehr. An der Börse in Taiwan konnten die Kurse nicht mehr aktualisiert werden. Teile Chinas waren vom internationalen Telefonnetz abgehängt. Bei den Internetversandhäusern gingen die Bestellungen zurück.

Fast drei Wochen danach ist der Datenverkehr in der Region zwischen Singapur und Schanghai immer noch heruntergebremst. Und meiner in Manila auch. Offenbar dauert es Wochen, bis so ein Kabel repariert ist. Ich fühle mich abgeschnitten von Deutschland und vom Rest der Welt.

Websites aus den Philippinen kommen relativ schnell auf den Bildschirm. Aber Daten aus den USA oder aus China tröpfeln auf meinen Rechner, als gingen sie durch verstopfte Arterien. Und um meine E-Mail aus Deutschland zu lesen, muss ich erst mal ins nächste Internetcafé gehen, da geht es nämlich seltsamerweise ruckzuck.

Für einige meiner Studenten bietet der „Cyber-Tsunami“, wie die Medien ihn nennen, eine willkommene Ausrede für nicht gemachte Hausaufgaben. Leider habe man die für das Referat notwendigen Informationen nicht rechtzeitig sammeln können, weil die Internetverbindung so langsam sei. Das ist doch besser als die Menstruationsbeschwerden, fiebrigen Infekte und Familientragödien, die einem sonst als Entschuldigung vorgetragen werden! Wer hätte gedacht, dass einige unterirdische Kabelbündel mit Namen wie APCN2 und Sea-Me-We3 Einfluss auf mein Privatleben und auf den Studienerfolg meiner Studenten haben können?!

Angeblich wurde das Internet ja entwickelt, damit das amerikanische Militär selbst im Falle eines Atomkriegs noch eine funktionstüchtige Kommunikationsstruktur hat. So ein Unfall erinnert einen daran, dass unter dem ganzen virtuellen „Cyberspace“ doch noch physische Kabel aus Kupfer oder Glasfaser liegen. Und dass die sehr wohl auch mal kaputt gehen können.

TILMAN BAUMGÄRTEL