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Archiv-Artikel

lost in lusitanien Alles nichts, oder?

MATTI LIESKE über die Qualitäten der russischen Mannschaft, die weniger auf sportlichem als auf komödiantischem Gebiet liegen

„Von denen kannst du alles oder nichts erwarten“, hatte der Portugiese Luis Figo vor Beginn der EM über das russische Team gesagt. Bis jetzt war es – zumindest sportlich gesehen – mehr oder weniger nichts. Einmal mehr präsentierten sich die Russen als versierte Experten der Selbstzerstörung. Ein Spieler wegen Dopings gar nicht dabei, ein Spieler wegen schlechten Benehmens nach Hause geschickt, zwei Platzverweise in zwei Partien, kein Tor, kein Punkt, vorzeitig ausgeschieden, eine überaus ernüchternde Bilanz für ein junges Team, das eine ganze Reihe hervorragender Fußballer aufzuweisen hat.

Dafür lieferten sie jede Menge Slapstick bester Güte. Mit der Monty-Python-Truppe wurde die russische Delegation von der portugiesischen Zeitung Público verglichen, auch nach dem 0:2 gegen Portugal arbeiteten sie kräftig an diesem Ruf. Zum Beispiel, als der wegen angeblichen absichtlichen Handspiels des Feldes verwiesene Torhüter Owtschinnikow gemütlich als Letzter aus der Kabine geschlendert kam, sich zu den Journalisten gesellte, um immer wieder fröhlich lächelnd zu beteuern, er habe den Ball bloß mit der Brust berührt, und im selben Moment der Mannschaftsbus mit dem Rest des Teams davonrauschte. Wollten sie ihn zur Strafe für seine rote Karte ins Hotel laufen lassen? Hatten sie ihn gleich aus dem Kader befördert, so wie ihren Altstar Alexander Mostowoi, nach dem dieser den Trainer Alexander Jartsew scharf und öffentlich kritisiert hatte für den Auftritt beim 0:1 gegen Spanien? Das immerhin konnte der Keeper, der lange in Portugal gespielt hat, aufklären. Er habe für diesen Abend freibekommen, verriet Owtschinnikow, bevor er sich gegenüber den portugiesischen Journalisten über die russischen mokierte. „Ihr seid immer nett und lacht viel“, sagte er, die Russen aber wären total verbissen, was er mit einer parodistischen Grimasse unterstrich, die so grimmig war, wie es ein extrem freundlicher Mensch eben hinkriegt.

Vielleicht liegt es an dieser Verbissenheit, dass die russischen Offiziellen so gern Journalisten hinters Licht führen. Vor ihrem ersten Spiel gegen Spanien hatten sie sich abgeschottet wie zu alten Zeiten das UdSSR-Team des seligen Waleri Lobanowski. Der hatte seine Spieler kaserniert wie Kadetten von West Point und ihnen tiefes Schweigen Presseleuten gegenüber verordnet. Selber ließ er sich nicht mal bei offiziellen Pressekonferenzen blicken, und wenn doch, sagte er nicht mehr als „njet, njet, njet“. Aleksander Jartsew, der aktuelle Coach, redet indessen gern und viel. Nur hält sein Übersetzer, ein anderes Mitglied der Delegation, offenbar so wenig von den Ausführungen, dass er sie weitgehend verschweigt oder in diplomatischer Weise umformuliert. Vor dem Portugal-Match sorgte er für große Heiterkeit bei den Journalisten, als er eine minutenlange, temperamentvolle, von wilden und ziemlich aggressiven Gesten begleitete Tirade Jartsews zum Fall Mostowoi im Wesentlichen mit den Worten übersetzte: „Zu Mostowoi sage ich nichts mehr.“ Auch nach dem Portugal-Spiel in Lissabon legte Jartsew sofort wieder los, als Mostowoi zur Sprache kam. Viel ging es um „Prawda“, die Wahrheit, und deutlich war auch das Wort „Idiot“ aus dem Russischen herauszuhören. In der Übersetzung hieß es dann, wer nicht an das Team glaube, gehöre nicht ins Team, und Mostowois Abgang habe ihm geholfen, die Mannschaft noch besser zu machen.

Sie scheinen das Groteske anzuziehen, diese Russen, auch wenn sie gar nichts damit zu tun haben. Dazu passte, dass sich mitten in der Pressekonferenz ein portugiesischer Fernsehreporter direkt am Podium aufbaute, mit einer Live-Moderation begann und Jartsew locker übertönte. Heftige Anfeindungen von russischer Seite konnten den guten TV-Mann ebenso wenig beirren wie die Beschimpfungen durch die anderen Medienvertreter. Dann schob ihn ein Ordner zur Seite, was nicht das kleinste Stocken im Sprachfluss bewirkte, sondern nur ein nachsichtiges Lächeln. Schließlich nahm ihm jemand das Mikrofon einfach aus der Hand, erst dann gab er sich geschlagen, und man rechnete damit, dass jeden Moment John Cleese auftauchen und sagen würde: „And now to something completely different.“

Trotz des Ausscheidens schwor Jartsew im Übrigen Stein und Bein, dass die Leute im letzten Match gegen Griechenland endlich das wahre Gesicht der russischen Mannschaft sehen würden. Man darf gespannt sein.

MATTI LIESKE