london underground: Ein Höllenritt in der Tube
So schlechte Luft wie vor 138 Jahren
London, U-Bahn-Station King’s Cross: Hier kreuzen sich fünf Linien, die Northern Line liegt am tiefsten. Die lange Rolltreppe ist seit Wochen außer Betrieb, und sie wird es auch noch wochenlang sein. Die „Tube“, wie Londons U-Bahn genannt wird, ist seit zehn Jahren finanziell vernachlässigt worden, der Verfall überall sichtbar. Die meisten Bahnhöfe sind in erbärmlichem Zustand, manchmal bleiben die Züge unterwegs stehen, die Passagiere müssen dann stundenlang in den schlecht belüfteten Waggons ausharren. Eine Gruppe empörter Passagiere hat eine Website mit dem Namen „Tubehell“ – „U-Bahn-Hölle“ – eingerichtet, auf der Menschen ihre Reiseerlebnisse schildern sollen.
Die U-Bahn befördert 2,8 Millionen Passagiere täglich. Das Streckennetz ist 415 Kilometer lang, wovon allerdings nicht mal die Hälfte unterirdisch verläuft. Londons U-Bahn ist die älteste der Welt, der erste Zug fuhr am 10. Januar 1863 zwischen Bishop’s Road, Paddington und Farringdon. Damals benutzte man Dampflokomotiven, deren Dampfausstoß kondensiert wurde, damit die Passagiere nicht erstickten. 1890 wurde die U-Bahn elektrifiziert. Damals hatten die Waggons nur winzige Fenster, weil man annahm, dass die Passagiere im Tunnel ohnehin nicht aus dem Fenster schauen würden. Allerdings verpassten viele ihren Bahnhof, weil sie den Namen der Station nicht lesen konnten. Deshalb spendierte man den neuen Zügen um die Jahrhundertwende größere Fenster. Die Victoria-Linie war die erste, die zwischen 1968 und 1971 für den automatischen Betrieb ausgerüstet wurde.
Das U-Bahn-Symbol, ein roter Kreis mit blauem Balken, wurde 1916 eingeführt und ist seitdem nicht verändert worden. Es symbolisiere „die Einladung zu einem Höllenritt“, sagt Susan Kramer von „Transport for London“, der Behörde, die dem linken Bürgermeister Ken Livingstone untersteht. Vorige Woche gab die britische Regierung grünes Licht für die Teilprivatisierung der U-Bahn – gegen Livingstones Willen. Er bezeichnete die Regierungspläne als „Torheit, die dem Debakel bei der Privatisierung der Eisenbahn in nichts nachsteht“. Mick Rix, Generalsekretär der Gewerkschaft der Lokomotivführer, sagte: „Die U-Bahn wird den Zerstörern in die Hände gegeben. Generationen werden für diese katastrophale Entscheidung zahlen.“
Die Regierung will die U-Bahn in vier Bereiche aufspalten. Drei davon gehen an Privatunternehmen, während der eigentliche Betrieb der U-Bahn sowie die Wartung und die Signale in staatlicher Hand bleiben. In den nächsten 16 Jahren sollen 16 Milliarden Pfund investiert werden, wobei die Privatunternehmen nur ein Viertel beisteuern. Die Vorbereitung der Teilprivatisierung hat bereits 80 Millionen Pfund für verschiedene Gutachten gekostet, zuletzt ein Wirtschaflichkeitsbericht der Firma Ernst and Young, der vorige Woche den Ausschlag für die Regierungsentscheidung gab. Livingstone bemängelte, dass Ernst and Young gleichzeitig Finanzberater für zwei Unternehmen sind, die von der Teilprivatisierung profitieren.
Die Regierung verspricht, dass bis 2016 sämtliche Signale erneuert und 336 neue Züge angeschafft werden. Die U-Bahn-Stationen sollen modernisiert und die Frequenz der Züge erhöht werden. Es kostet allein 1,5 Milliarden Pfund, um die erhebliche finanzielle Vernachlässigung der U-Bahn in den vergangenen zehn Jahren wettzumachen. Nach 30 Jahren soll die „Tube“ wieder in öffentliches Eigentum übergehen – in besserem Zustand, als sie es jetzt ist.
RALF SOTSCHECK
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