liebeserklärung: Voyager 2
Nach 41 Jahren Reise hat die Raumsonde das Magnetfeld der Sonne verlassen. Sie ist die schönste Metapher auf die menschliche Natur: Triumph und Hohn zugleich
Angenommen, Sie wachen in einem Raumschiff auf, 18 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt. Schauen Sie sich um. Unzählige Sterne leuchten in absolutem Schwarz. Alles ist starr und still. Bewegt sich Ihr Schiff? Nicht feststellbar. Die Sonne ist zwar noch der hellste Punkt, erscheint aber unbeweglich wie alles sonst. Sie sind an einem Nicht-Ort ohne Richtung.
Immerhin ist eine goldene Schallplatte an Bord. Sie ziehen sich Johnny B. Goode rein, das zweite Brandenburgische Konzert, Volksmusik aus Papua-Neuguinea, Hundegebell und Schimpansengebrüll. Internet? Mit 160 Bit pro Sekunde sogar noch langsamer als in der Berliner U-Bahn.
Das wäre die Lage an Bord der Raumsonde Voyager 2, wäre sie bemenscht. Sie hat, wie die Nasa nach Auswertung von Daten der Sonde diese Woche mitteilte, nach einer 41-jährigen Reise am 5. November das Magnetfeld der Sonne verlassen und befindet sich jetzt im interstellaren Raum. Wie schon 2012 Voyager 1 und wahrscheinlich Pioneer 10 und 11, zu denen die Nasa aber längst den Kontakt verloren hat. Voyager 2 hat eine verrückte Reise hinter sich, einen extraterrestrischen Vulkanausbruch auf dem Jupiter-Mond Io fotografiert, Saturn, Neptun und Uranus besucht.
Unter allen Weltraummissionen sind die Voyager-Sonden die schönste Metapher auf die menschliche Natur – Triumph und Hohn zugleich. An Bord befindet sich je eine goldene Schallplatte mit Liedern, Tiergeräuschen und Grußbotschaften in 55 Sprachen, der Versuch also, den Menschen als versöhnlichen Bewahrer zu zeigen. In der Hoffnung, eine außerirdische Intelligenz möge sie eines Tages abhören. Voyager ist damit nicht nur Ingenieurskunst, ein künstliches Sinnesorgan, das den Menschen den Rand des Sonnensystems abtasten lässt. Die beiden Sonden verhöhnen uns auch in unserer Winzigkeit. Sie brauchen 40.000 Jahre, um auch nur in die Nähe unserer Nachbarsterne zu kommen. Diese Nähe wird immer noch fern sein. Selbst wenn es da was Intelligentes gibt: Die Sonden sind winzig, sie haben nichts, womit sie sich bemerkbar machen könnten. Die vielleicht letzten Zeugnisse der ach so großen menschlichen Zivilisation werden unbemerkt ewig weitertreiben. Durch einem Raum, in dem alles nicht mehr ist: Sprache, Geschichte, Erlösung, Tod. Wie wundervoll. Ingo Arzt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen