liebeserklärung: Viva
Der Musiksender Viva steht wie kein anderer für die 90er Jahre: knallige Studiodeko, überdrehte Moderatoren, herzschmerzige Boygroups. Zum Jahresende wird er eingestellt
Einen persönlichen Nachruf auf Viva schreiben, das kann nur peinlich werden. Wo soll ich da anfangen? Beim Nachhauserennen nach der Schule, damit ich, damals zwölf Jahre alt, rechtzeitig zum Start von „Interaktiv“ vorm Fernseher saß? Bei den hohen Telefonrechnungen, die mir Ärger mit meinen Eltern einbrachten, weil ich, verliebt in irgendeinen dieser Sashas, oder Christian Wunderlichs, bei Viva anrief, um live mit ihnen zu telefonieren?
Viva war meine Jugend. Nicht nur meine, sondern die vieler, die zu jung waren für MTV. Zu jung, um Kurt Cobain lebend mitbekommen zu haben. Zu jung für die Popintellektuellen der Hamburger Schule. Zu jung für die ersten Love-Parades. Zu jung für Britpop. Wir hatten, zumindest popkulturell, das Pech der späten Geburt.
Wir hatten Viva. Und Mola Adebisi. Und, weil Viva sich als Gegenpol zum US-amerikanisch fixierten MTV verstand, die ganze Welle der deutschen Stars: Tic Tac Toe, Blümchen, Echt, Sabrina Setlur. Viva hat Karrieren gemacht. Stefan Raab, Heike Makatsch, Markus Kavka, Matthias Opdenhövel, Klaas Heufer-Umlauf, Charlotte Roche. Alles Viva-Gesichter.
Dabei ist die eigentliche Nachricht vom Viva-Ende gar nicht das Ende, sondern dass es Viva überhaupt noch gibt. Die Quoten waren schon lange mies, den Sendeplatz teilte sich Viva seit Jahren mit Comedy Central. „Ab heute bleiben wir für immer zusammen“, versprach Heike Makatsch 1993 zum Sendestart dem Publikum. Das war natürlich maßlos übertrieben. Viva war Jugendkultur. Knallig, überdreht, affektiert. Die Viva-ModeratorInnen waren so crazy, wie wir mit 13 sein wollten. Aber wie jeder Jugendkultur war auch Viva von Anfang an das Ende sicher.
Musikfernsehen in der Prä-Internetzeit hieß vor allem Warten: Warten auf das neue Backstreet-Boys-Video, beim Warten überrascht werden von einem neuen Künstler. Heute gibt es das alles im Netz. Was heute die Insta-Story eines Stars ist, waren früher die Liveauftritte bei Viva-„Interaktiv“: fünf Minuten inszenierte Nähe.
Es ist also kein Zufall, dass Instagram fast zeitgleich zum Viva-Aus eine Milliarde Nutzer vermeldet und eine neue Video-App ankündigt. Dass, ebenfalls in dieser Woche, die letzte gedruckte Neon erschienen ist, sicher auch nicht.
Anne Fromm
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