lidokino: Sex und Tod in der globalen Provinz
Das Gegenprogramm
Die Regierung grüßt. Aber sie kommt nicht. Italiens ultrarechter Kulturminister Urbani ließ sich zur Eröffnung der 58. Filmbiennale entschuldigen und schickte nicht mal seinen Staatssekretär. Überhaupt hielt der Berlusconi-Club seine Anwesenheit für verzichtbar – nur für die Abschlussveranstaltung, bei der kaum noch jemand da ist, hat sich dann doch der eine oder andere Offizielle angesagt. Die Absagen sind auch ein klarer Affront gegen Festivalchef Alberto Barbera, dessen Vertrag im nächsten Jahr ausläuft. Der juxte im Interview, man habe ihm die Leitung eines Filmfestivals in Tanger angeboten – aber da sei es ja noch heißer als in Venedig.
In der italienischen Presse wird das Fernbleiben der Oberen als Kampfansage gegen ein Festival verstanden, in dem sich die Rechte nicht repräsentiert sieht, das ihr zu marginal, zu links, zu intellektuell und damit irgendwie unheimlich ist. „Kann man sich die Berlusconi-Leute im weißen Smoking bei der Galavorführung eines mazedonischen Eröffnungsfilms vorstellen?“, fragte La Repubblica durchaus nicht rhetorisch.
Und was wäre gewesen, wenn Herr Urbani oder ein anderer Forza-Italia-Smoking mit dem Programm des ersten Festivaltages noch einen kleinen Filmbildungsurlaub drangehängt hätte? Gleich morgens wäre er im Wettbewerbsbeitrag „Soochwieen Boolmyung“ über die Lage in der koreanischen Provinz informiert worden. Ein Rohling prügelt Hunde bestialisch zu Tode, um ihr Fleisch als zarte Delikatesse zu verkaufen. Ein Mädchen hat Sex mit seinem Schoßhund, wird vergewaltigt und bekommt zweimal ein Auge ausgestochen. Außerdem prügelt in dieser kreatürlich verwahrlosten Einöde jeder auf jeden ein, bis sich am Ende alle gegenseitig umbringen.
Nach einer kleinen Kaffeepause säße der Regierungsmann dann in dem philippinischen Wettbewerbsfilm „Tuhog“, in dem es um eine Mutter und ihre Tochter geht, die beide über Jahre hinweg vom Großvater vergewaltigt wurden. Die gebeutelten Frauen verkaufen ihre Lebensgeschichte einem skrupellosen Regisseur, der einen Pornoreißer daraus macht.
Kurze Zeit für ein paar Nachmittagsschnittchen, und rein in „Bully“. In Larry Clarks neuem Film hätte der Regierungsmensch alles erfahren, was er schon immer über Drogen, Sex und die gelangweilt herumlungernde amerikanische Jugend wissen wollte. Clark positioniert seine Kamera genau im Zentrum einer bodenlosen Vorstadtleere zwischen Cliquenbesäufnissen, Autoficks und dem Job bei Pizza Hut. Er filmt schwitzende Körper, die beim Sex wie Akkordarbeiter ackern, er zeigt einen zeit- und ziellosen Teeniekosmos, der so straight heterosexuell ist, dass sich schwules Begehren nur unter dem Siegel des Ökonomischen bzw. über den Handel mit Sexvideos einschleichen kann. Wenn Clarks Teenage Slackers angewidert vor einem Homovideo stehen und zu kotzen anfangen, dann geht es nicht mehr um eine andere Sexpraktik, sondern um den Ausschluss des anderen überhaupt. „Bully“ ist auf ganz eigene Art das Gegenprogramm zu „American Pie“ und der Flut von Cheerleaderfilmen, auch wenn Clarks abgefuckte Teenies in den gleichen schicken Karrossen cruisen und die gleichen perfekten Körper haben wie ihre kichernden Kollegen. „Bully“ ist eine fast un- und vorbewusste Körperwelt mit großartig banalen Dialogen, aus denen irgendwann – ohne dass man genau sagen könnte, warum – ungeheure Gewalt entsteht.
„Haixian“ von Zhu Wen, einen kargen, mit der DV-Kamera gedrehten Film über eine Prostituierte, die sich in einem einsamen Küstendorf einmietet, um Selbstmord zu begehen, und vom örtlichen Polizisten vergewaltigt wird, würde sich unser Berlusconi-Mann dann vielleicht für den nächsten Tag aufheben. KATJA NICODEMUS
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