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Archiv-Artikel

leserinnenbriefe

Lust am Selektieren

■ betr.: „Der Fall Sarrazin: Redefreiheit ohne Qualitätskontrolle“, taz vom 4. 9. 10

Es gibt sie noch, die Herrenmenschen. Donnerwetter, was für eine Lust am Selektieren. Muss ja auch ein berauschendes Gefühl sein, an der Rampe mit wippenden Absätzen stehend, nach streng wissenschaftlichen Regeln, die einen nach links und die anderen nach rechts zu schicken. Diesem Herren gebührt er, der Deutsche Gruß. BERNHARD MOCK, Radolfzell

Schiefe Vergleiche

■ betr.: „Lob des Populismus“, taz vom 2. 9. 10

Nach der Logik dieses Kommentars ist vermutlich auch eine öffentliche Debatte der Theorie, dass drei mal sieben gleich Donnerstag ist, sehr nützlich. Sie zwingt nämlich zur Auseinandersetzung mit der Rechenschwäche großer Bevölkerungsteile und kann den politischen Kräften im Land bei der Bestimmung ihrer Position zum Mathematikunterricht hilfreich sein. Mit dem Argument „Es hört ihnen sonst ja niemand zu“, haben schon in den 90er Jahren manche Soziologen versucht, das Treiben gewalttätiger Rechtsradikaler zu erklären. Schiefe Vergleich sind bezüglich der abstrusen Thesen Sarrazins durchaus angebracht, daher hier noch einer: Wenn mir ein Musikstück nicht gefällt, interessiert mich nicht, ob es ein Hit ist – ich werde sie mir nicht freiwillig anhören. Auch die Weigerung, eine aufgezwungene Debatte fortzuführen, ist ein demokratisches Recht. FRANK PÖRSCHKE, Hattingen

Kostenlose Publicity

■ betr.: Der Fall Sarrazin

Berichten zufolge soll Herr Sarrazin geschrieben haben, die Deutschen würden immer dümmer. Er scheint recht zu haben. Welches andere Buch bekommt solch eine kostenlose Publicitiy? Titelseiten in Tageszeitungen, Berichte in Hauptnachrichtensendungen, Interviews mit dem Autor. Hätte es nicht genügt, wenn wenigstens die taz nur geschrieben hätte: „Herr Sarrazin hat ein neues Buch geschrieben. Es soll ein Sachbuch sein, ist jedoch nur ein pseudowissenschaftliches Machwerk?“ EVI MEISBERGER, Völklingen

Integrationsunwillige Deutsche

■ betr.: „Nein zum Salonrassismus“, taz vom 6. 9. 10

Ich bin in ernsthafter Sorge, dass die hysterische Angst vor Überfremdung in unserem Land, die Thilo Sarrazin in seinem Buch skizziert, von so vielen Menschen geteilt wird. Nur wenige machen sich die Mühe und hinterfragen die pauschalisierten Vorurteile über ganze Volks- oder Religionsgruppen. Man akzeptiert dubiose Statistiken und abwegige Vererbungstheorien und begibt sich mit dieser Sichtweise in eine bedrohliche Nähe zu den rechtsradikalen Parteien.

Sicher ist es unbestritten, dass es Integrationsprobleme in unserer Gesellschaft gibt, doch die löst man nicht, indem man Türken oder Muslime einfach pauschal diffamiert. Und schließlich sollten wir uns an die eigene Nase fassen, wenn wir beispielsweise die Integrationsunwilligkeit von vielen Deutschen im Ausland, beispielsweise auf Mallorca, betrachten, die nach deutschem Kaffee und deutschem Bier verlangen und obendrein noch unwillig sind, die spanische Sprache zu erlernen! THOMAS HENSCHKE, Berlin

Stammtische haben das Sagen

■ betr.: „Der Fall Sarrazin: Redefreiheit ohne Qualitätskontrolle“, taz vom 4. 9. 10

Ich finde es unerträglich, ausländische Mitbürger nach Gruppen zu sortieren und nach ihrer Nützlichkeit einzustufen. Das ist nichts anderes als Rassismus. Tagtäglich engagieren sich tausende von Bürgern in sozialen Brennpunkten für die Integration benachteiligter deutscher und ausländischer Mitbürger. Streetworker, Kirchen, Vereine, Parteien, Sozialverbände, freiwillige soziale Dienste leisten einen unbezahlbaren Dienst an unserer Gesellschaft. Sie müssen diese Diskussion als Ohrfeige betrachten. Sie finden in den Medien kein Gehör. Genau sie sind es aber, die die Probleme kennen, sie ebenfalls nicht verschweigen und Forderungen an die Politik formulieren. Warum erhalten diese Stimmen kein Forum? Eine faire, sachliche und problemorientierte Diskussion scheint auf lange Sicht nicht mehr möglich. Die Stammtische haben das Sagen.

ALFRED LINDEKEN, Essen