ladenschluss : Rund um die Uhr zu Diensten
Wer nachts in Ostberlin noch eine Flasche Sekt für eine Party kaufen will, geht in den nächsten Spätkauf, auch Späti genannt. Dort begegnet dem Abendshopper mitunter ein Jugendlicher türkischer oder vietnamesischer Herkunft, der – statt Mathe-Hausaufgaben zu üben – einfache Additionen mit dem Taschenrechner macht. Auch eine Folge längerer Öffnungszeiten, die per Sonderregeln im Spätverkauf liberalisiert sind.
KOMMENTAR VON RICHARD ROTHER
Für Berliner und Touristen ist es natürlich angenehm, nachts Bier und Brötchen zu Preisen zu kriegen, die kaum über dem Supermarktniveau liegen. Aber sie sollten sich bewusst machen: Die weltoffene und billige Metropole Berlin ist nur deswegen rund um die Uhr offen und günstig, weil es Menschen gibt, die für wenig Geld in Läden, Kneipen und Hotels die Drecksarbeit machen.
Eine Liberalisierung des Ladenschlusses wird diesen Trend verstärken, der oft mit mehr Service- und Dienstleistungsorientierung beschrieben wird. Für eine zunehmend vom Tourismus geprägte Stadt wie Berlin mag immerhin gelten: Durch eine Ausweitung der Ladenöffnungszeiten verlagert sich nicht nur das Geschäft in die Abendstunden, vielleicht wird auch mehr Geld ausgegeben – weil mehr Gelegenheit dazu ist.
Dennoch ist die Stadt, die nach längeren Öffnungszeiten giert, als könnte dies den Niedergang aufhalten, darauf kaum vorbereitet: Welche Kita hat bis 22 Uhr geöffnet, welche U-Bahn fährt abends in kurzen Takten?
Wenigstens scheint sich in der Debatte um den Ladenschluss ein Rest zivilisatorischer Vernunft durchzusetzen: Am 7. Tag der Woche ist Ruhe. Zeit für sich, die Familie, die Freunde, den Sport, die Religion oder was immer wichtig sein mag. Nur nicht dafür, shoppen zu gehen, weil der Mensch sonst nichts mit sich anfangen kann.
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