kurzkritik: Charlotte Roche liest im Schlachthof : Viel mehr als Muschis und furzen
„Wo war ich stehen geblieben“, fragt Charlotte Roche ins Dunkel der ausverkauften Schlachthof-Kesselhalle, „Muschi, furzen, Schamlippen, … ah ja hier. Achtung, es geht weiter!“ Roche ist auf Lesereise, gewohnt charmant, derb und schlagfertig stellt sie am Montag Abend in Bremen ihr Debüt „Feuchtgebiete“ vor.
Roche freut sich darüber, dass das Publikum ausdauernd lacht und klatscht, das Publikum wiederum scheint froh, über all das „Untenrum“ (Roche) lachen zu dürfen und das als „Lockerheit“ ausgelegt zu bekommen. „Ich würde ja die Krise kriegen, wenn ich das hören müsste“, sagt Roche und schlägt damit den Ton ihrer Rezensenten an. Die hatten überwiegend erklärt, den Verkaufsschlager brauche man nicht lesen, weil es nur um Körperöffnungen und -flüssigkeiten ginge. Seltsamerweise scheint Roche das zu glauben. Sie hält ihr Buch für „Saukram“ und Leute, die es gut finden, für „krank“.
Ihr Verlag habe ihr erklärt, ihr Roman sei „Stellenliteratur“, erzählt sie, also solche mit „versauten Stellen“, nach denen Leser ein Buch durchsuchen und sich um den Rest der Geschichte nicht weiter scheren. Das ist bei den Feuchtgebieten unmöglich, hat es doch, wie Roche stolz sagt, „nicht nur zwei, sondern 2.000 Stellen“. Und so merkt unweigerlich, wer das Buch liest, dass es um mehr als Muschis, furzen und Schamlippen geht – allein diese Zusammenstellung sollte deutlich machen, dass es sich als pornografisches Hilfsmittel nur für Ausnahmefälle eignet. Oder wie es Roche gestern formulierte: „Man würde sich auf die Erektion kotzen.“ Mit derart flapsigen Sprüchen rettet sich auch Roches Heldin Helen Memel durch den Tag. Und kann ihre Verletzlichkeit schlechter als diese verbergen, zuletzt nicht einmal mehr vor sich selbst. Wie Roche das schildert: Das ist so schmerzhaft wie komisch. Und berührt wesentlich mehr als ihre Lesung glauben macht. Eiken Bruhn