kunstraum: Entlang der Spannung
Jede Zeichnung eröffnet einen eigenen Raum und lädt ein, sich darin zu verlieren. Dabei ist gar nicht so viel zu sehen. Eine eher dunkle, schattige Farbpalette, oder hartes Schwarz-Weiß, oder ein ganzes Blatt in zartem Blau, darauf ein paar dunkle Farbkleckse, mit ein paar Linien als zwei Körper interpretiert. Da ist der Hund. Ein großer, brauner Hund, man stellt sich sofort vor, wie er sich bewegt. Aber dann wirft er einen so merkwürdigen Schatten, dass man sich fragt, ob es nicht doch einfach nur ein Farbverlauf ist, den man als Hund sehen will.
Harald Frackmanns Zeichnungen, die jetzt in der Werkstattgalerie zu sehen sind, leben von der Spannung zwischen Noch-Gegenständlichem und Abstraktion. Und sie leben von der Spannung zwischen dem formal-ästhetischen Ausdruck und dem narrativen Abgrund, der dahinter lauert. Da blickt eine Landschaft mit erschreckten weißen Augen in die Welt, und der zum Schrei geöffnete Mund ist ein Grab, in dem ein Mensch liegt. Krieg, Gewalt, das Gesicht unserer Gesellschaft?
Manchmal scheint es nur um die zeichnerische Linie zu gehen, wie sie ein Oval formt, das sich nach innen als Schlangenleib und -kopf entpuppt. Das erinnert an Saint-Exupérys Hut, ebenfalls eine Schlange, eine Boa constrictor, die gerade einen Elefanten verdaut. Auch Frackmann fordert die erwartbare Perspektive heraus, und setzt stattdessen auf die erfinderischen, die unwahrscheinlichen Möglichkeiten, die am Ende doch die Wirklichkeit, die Wahrheit sind. Und das gilt auch für die Horizontstudien, vermeintliche Landschaften, zunächst aber doch nur ungemein verführerisch angeordnete Farbfelder. Deswegen könnten die undatierten Zeichnungen und collagierten Blätter des 1944 in Plauen geborenen, in Hamburg lebenden Künstlers, die auch keine Titel haben, gerade entstanden sein. Tatsächlich stammen sie aus den 1970er Jahren, denn, wie er selbst an anderer Stelle einmal sagte: „Eine Stunde gemalt, vier Tage ergänzt, sechs Jahre überprüft, jetzt ausgestellt.“ Jetzt sind es eben 50 Jahre Prüfung. Das macht es noch viel besser.
Harald Frackmann: A World in Almost 12“X12“. Werkstattgalerie, bis 25. 1., Mi.–Fr. 15–19 Uhr, Eisenacher Str. 6
Die Kolumne: taz.de/tazplan
Brigitte Werneburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen