kunstquartier venedig: Irgendwie sozial geartet, aber faktisch eher unscharf
Lang lebe der Wahnsinn des Privaten!
Venedig ist nasser als nass. Stundenlang hat es geregnet, Katzen und Hunde oder, wie der Italiener sagt, Gnocchi und Pasta. Jetzt sieht der Markusplatz wie ein verstopfter Abfluss aus. Riesige, bis zu dreißig Zentimeter tiefe Pfützen machen das touristische Zentrum der Stadt praktisch unpassierbar. Da wirkt selbst die Videoarbeit von Fabrizio Plessi sympathisch: Für „Waterfire“ laufen auf 15 Screens an der Frontseite des Platzes ununterbrochen Wasserfälle, während die Kellner in den Cafés rundherum auf einsam vor sich hin schwimmende Stühle und Tischchen starren.
In den Giardini gibt es im spanischen Pavillon auch ein Video mit viel Wasser. Ana Laura Alaez zeigt eine Frau, die sich in Trance unter der Dusche bewegt. Damit aus dem Film eine raumbezogene Arbeit wird, hat Alaez eine Sprinkleranlage installiert, die ununterbrochen real tröpfelt – das ist überdeutlich inszeniert. Ohnehin scheint sich der Trend zum dekorativen Environment ein wenig totgelaufen zu haben. Bei den Griechen sieht man auf wandfüllenden Videoprojektionen von Nikos Navridis einige Männer und Frauen mit meterhohen Luftballons kämpfen. Das allein wäre schon Terror genug, um, wie es im Katalog heißt, „das existenzielleVerhältnis zwischen Mensch und Materie“ aufzuführen. Doch Navridis hat seinen Akteuren zusätzlich Latexmasken übergestülpt. So wird die Drohung zur clownshaften Geste.
Wo sonst in den Pavillons irgendwie sozial geartete, aber faktisch eher unscharfe Fantasien die Bilder bestimmen, setzt der Belgier Luc Tuymans auf politische Konflikte. In seiner zehnteiligen Gemäldeserie geht es um die Verflechtungen des ehemaligen belgischen Königs Baudouin beim Mord an Lumumba.
Das historische Material, das der 1958 geborene Maler benutzt, ist noch immer kontaminiert. Links sieht man ein Porträt des Königs, der in sengend weißer Uniform aus dem Flugzeug steigt, rechts hängt das Konterfei des kongolesischen Politikers, der 1962 verschleppt und umgebracht wurde. Ob der belgische König und sein Geheimdienst den Tod des Unabhängigkeitskämpfers Lumumba veranlasst haben, ist bis heute nicht geklärt.
Tuymans beschränkt sich bei der Darstellung auf Andeutungen. Es sind Verdachtsmomente, die er in seine Malerei übertragen hat: schwarze Limousinen, die vor einer Waldlandschaft parken, ein Leopardenfell, das als Trophäe auf einem Fußboden ausgebreitet liegt, eine verlassene Missionsstation. Neben dem Bild eines Afrikaners in Lendenschurz steht der Titel „Sculpture“. Bis ins Detail hat Tuymans die Figur nach einem Ethnokitschobjekt gemalt, das eine Kneipe im Antwerpener Diamantenviertel schmückt.
Solche Alltagssituationen machen für ihn den Exotismus sichtbar, „mit dem wir in Belgien heute noch dem Leben im Kongo begegnen“. In den Gemälden fällt dieser Exotismus kulturell doppelt gebrochen auf den Betrachter zurück. So hat Tuymans am Ende der Raumflucht das Bild eines Nashorns positioniert. Die Vorlage war ein Diorama, ein Stück künstlich fürs Museum gestalteter Natur.
Tatsächlich ist auch Luc Tuymans’ gesamtes Arrangement ein Diorama zur Geschichte des Kolonialismus – „that’s fucking political“, erklärt er einer Gruppe interessierter Amerikaner und lacht dabei auf seine hintergründige belgische Art.
Mit dem deutschen Biennale-Beitrag hat das Publikum sehr viel mehr Probleme. Erst muss man eine gute Stunde Schlange stehen, weil immer nur ein Dutzend Besucher eingelassen werden. Und dann, ärgert sich eine ältere italienische Dame, „ist alles bloß Zeitverschwendung“. Sie meint damit das verwinkelte Musterhaus, das Gregor Schneider aus Mörtel und Rigipsplatten in den Pavillon gebaut hat.
„Totes Haus ur“ ist ein Work in progress, an dem der 1969 in Rheydt geborene Schneider seit über fünffzehn Jahren bastelt. Im Originalzustand war es das Domizil seiner Eltern, mittlerweile reist er mit Versatzstücken des Gebäudes von Ausstellung zu Ausstellung. Die Architektur wird dabei von Schneider völlig ins Absurde gesteigert: Keller münden in dunkle Räume, in denen sich eine Discokugel dreht, die Küche findet nur, wer durch einen schmalen Gang kriecht. Alles ist provisorisch, jede Wand nur eine Notlösung auf der Suche nach dem perfekten Interieur.
Die Utopie vom Häuslebauen mündet bei Schneider in einen paranoiden Albtraum. Das ist ein sehr deutsches Statement in Sachen Biennale: Gegen die nationale Leistungsschau in den Pavillons hilft nur der Wahnsinn des Privaten. HARALD FRICKE
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