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kritisch gesehenWiderstand kann leicht mal ins Auge gehen

Elsa-Sophie Jachs „Antigone“-Inszenierung in Bremen überzeugt optisch, darstellerisch und gedanklich

Hier passt einmal alles, von Anfang an, den Lena Geues Musik markiert: Sie baut Spannung auf, noch bevor diese „Antigone“ überhaupt begonnen hat. Die Hamburger Komponistin steht mit einem Keyboard links am Rand, ihr gegenüber streichelt Philip Theurer mit dem Jazzbesen das Schlagwerk. In der Mitte aber spielt Marlene Lockemanns Bühnenbild mit der Theatergeschichte, so wie es die kanadische Autorin Anne Carson mit der antiken Tragödie tut. Im Jahr 2012 hatte sie aus Sophokles’Drama 2012 den punkigen Comic „Antigonick“ destilliert.

Daraus hat sie 2015 wiederum ein paar der griffigsten Meta-Elemente übernommen in ihre Übertragung des altgriechischen Stücks ins Englische. Maria Milisavljevićs Übersetzungsübersetzung dient nun als Textbuch für Elsa-Sophie Jachs Bremer Inszenierung. Die wird im Programm als „deutschsprachige Erstaufführung“ angepriesen, als Novität. Dabei erinnert die Rahmenbühne eher an die barocken Reprisen des Stoffs: Diese bezaubernd altertümliche Art, räumliche Tiefe herzustellen, kontrastiert perfekt mit den Live-Videos von Cantufan Klose, dank der etwa die gekonnt servile Mimik von Karin Enzler (als Wache) unangenehm dicht heranrückt. Distanz und Nähe, Archaik und Gegenwart der seltsamen Antigone-Geschichte, das Regiekonzept zeigt beides: was sie so ewig-aktuell macht und so unverständlich macht. So nutzlos.

Bis auf Ismene, die verantwortungsethisch steril bleibt, kommen in der Antigone-Geschichte sämtliche Kinder von Ödipus und Iokaste um (also auch ihre Enkel und seine Halbgeschwister). Ihr Bruder Polyneikes hatte sich für den wahren König von Theben gehalten, der andere Bruder Eteokles indes den Thron bestiegen. Also war Polyneikes in den Krieg gegen die Heimat gezogen. Nachdem beide einander erschlagen haben, geht das Drama erst richtig los: Kreon, der Onkel und Regent, verbietet, den Angreifer zu begraben. Bei Zuwiderhandlung: Tod durch Lebendbestattung. Die Strafe bestärkt Antigone darin, ein Trauerritual durchzuführen: „Es ist das einzig richtige / auch wenn ich dafür sterben muss“, verkündet sie; meint aber wohl eher: weil ich dafür sterben muss.

Allein schon zu sehen, wie triumphal Shirin Eissa in der Titelrolle die Lust an der Provokation körperlich und sprachlich ausagiert, macht den Abend zum großen Genuss. Grandios sind die Auftritte von hinter der Bühne: Wie eine Irisblende kann sich die Rückwand schließen – als Antigone in der Höhle eingemauert wird – und öffnen. Dann wirkt die Person, die in den Blick kommt, als wäre sie eine Pupille, die aus einem Riesenauge heraussticht.

Elsa-Sophie Jach hat aber auch den anderen Ak­teu­r*in­nen Raum gegeben, sich zu entfalten. Selbst alten Kämpen wie Guido Gallmann gelingt es da, ihrer Performance neue Facetten zu verleihen. Sein Kreon wirkt, obwohl der renovierte Text ihn als Superbürokraten karikiert, ungewohnt subtil. Es ist ein schreckliches, also schönes Schauspiel, das nicht eine Frage beantwortet. Und viele bewegt.

Benno Schirrmeister

Schauspiel Antigone, Theater Bremen, Großes Haus, wieder am 1. und 23. 11., 19 Uhr

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