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kritisch gesehenHart aber witzig

Eigentlich war als Spielort ein runtergekommener Leerstand vorgesehen, eine Ex-Drogerie in einem der sozialen Brennpunkte der City von Osnabrück. Die Geschichte um Khaled, den syrischen Asylbewerber, hätte hier gut hineingepasst. Aber auch das Alternativ-Setting am Stadtrand ist sprechend, zumindest die Anfahrt: Eine achsenbrechende Schlag­loch­piste durch die Brachflächen der ehemaligen „Mercer and Imphal Barracks“, einst ein 70 Hektar großer Stützpunkt der britischen Armee.

Khaled kommt in der düsteren, warmherzigen, oft extrem wortkargen Tragikomödie „Die andere Seite der Hoffnung“, entstanden nach dem gleichnamigen Film von Aki Kaurismäki, aus den Ruinen von Aleppo. Die Reste der Barracks unter­stüt­zen das: Dutzende Bauten sind hier dem Erdboden gleich­ge­macht.

Regisseur Jakob Fedler geht in „Die andere Seite der Hoffnung“ ein Wagnis ein: Neben Profi­schauspielerInnen bringt er ein „Stadtensemble“ aus Laien und einen örtlichen Posaunenchor zum Einsatz. Das nimmt darstellerische Schwächen in Kauf, zahlt sich aber in Authentizität aus. Bei Kaurismäki kommt Khaled nach Helsinki, bei ­Fedler nach Osnabrück, aber provinziell wirkt das teils wundervoll skurrile Geschehen dadurch nicht. Es ist universalgültig: Khaled wird Opfer der Willkür tumber, aber machtgeiler Polizis­ten, von rassistischen Prügel-Hools verfolgt, und er verzweifelt auf der Suche nach den Resten seiner versprengten Familie.

Während Khaleds Fluchtgeschichte, abgefragt durch die Behörden, monoton und ohne jede ironische Brechung erzählt, eher Ermüdung als Empathie erzeugt, gelingen ­Fedler für diese Suche bizarre, oft zutiefst absurde Bilder. Auf einem Monitor läuft Kika-Comic-Unsinn, uralter deutscher Showmaster-Trash und die Zuckrigkeit von André Rieu. Manchmal sind auch Butterstücke zu sehen, auf die ein Fön gerichtet ist. Im meist menschen­leeren Restaurant „Zum goldenen Krug“, das am Ende einen Imagewechsel zum „Imperial Sushi“ versiebt, isst ein Gast Sardinen aus der Büchse. Die BlasmusikerInnen spielen herrlich schräg, verteilen Bier ans Publikum, weil das zum Deutschtums-Klischee nun mal dazugehört. Ein hartes Thema paart sich hier mit subversivem, spielerischem Witz. Draußen vor dem Fenster galoppieren Asylanten kindhaft als Steckenpferdreiter vorbei. Und dann ist da noch diese Blumenverkäuferin. „Möchten Sie eine für Ihre Frau?“, fragt sie einen Zuschauer. Der Zuschauer, zu ihr: „Ich hab keine!“ Die Blumenverkäuferin, mitleidig, schenkt eine Rose: „Dann läuft vielleicht was!“ Und plötzlich, nach Viertelstunden leisen Alltagstons, teils großer Stummheit, rammt Ronald Funke, der als Wikstöm Khaled hilft, plötzlich seine kraftvollste Klassiker-Deklamationsstimme in den Raum, stanzt philosophische Sätze ins Geschehen, sekundenkurz, und von der Köchin bis zum Kellner fragen sich alle: Was war das denn jetzt?

„Die andere Seite der Hoffnung“ tritt an, die Willkommenskultur zu stärken. Das gelingt, gerade durch das „Stadtensemble“. Aber so erfrischend es ist, wenn aus Asylbe­wer­bern, die die Laien am Beginn spielen, großmäulige Polizisten werden, wenn sie Klischeevorstellungen über Migranten aufspießen, indem sie sie, überspitzt, selbst bedienen: Schauspielerisch sind hier Amateure am Werk, und das bremst das Kunstwerk. Harff-Peter Schönherr

„Die andere Seite der Hoffnung“: wieder am 16., 25., 26. und 29. 6., jeweils 19.30 Uhr, Theater am Limberg, Osnabrück

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