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kritisch gesehenLive gestreamte Tragödie aus dem russischen Kaff

Mensch bleibt Mensch. Die Generation Z macht es wie die Alten. Findet kurzfristig euphorisch zusammen – und zwar körperlich analog, obwohl sie als Digital Natives sonst im Internet leben.Nicht zu eliminieren ist dabei das Gefühl der Ziellosigkeit. Etwa in einer perspektivlosen Umgebung im westrussischen Kaff Strugi Krasnyje. Dessen Dorfbahnhof wird zur lamentösen Coda der deutschen Opern-Erstaufführung von „Denis & Katya“ am Staatstheater Hannover in einem Videofilm gezeigt.

Strugi Krasnyje muss für Jugendliche ein Ort sein, von dem sie vor allem wegwollen. Aber vorerst reicht es nur zu kleinen Fluchten. Das Liebespaar Denis (Muravyov) und Katya (Vlasova) büchst aus, bricht in eine Datscha ein, trinkt Alkohol und postet das dreitägige Abenteuer aus Selfie-Perspektive.

Das Internet ist voll vom Drang, bedeutsam zu sein. Und so streamen Denis und Katya live ihre daraus resultierende Tragödie: Sie finden Waffen, schießen auf den Fernseher, auf ein Fenster, ein Polizeiauto – prompt vervielfachen sich die Klicks. Zum Finale tritt eine Sondereinheit der russischen Exekutive auf, kurz darauf sind die beiden erschossen. Offiziell ein Doppelsuizid.

Erzählt wird dieser authentische Vorfall von Mezzosopranistin Weronika Rabek und Bariton Darwin Prakash. Sie verkörpern nicht das Paar, sondern sind Stimmen von RechercheurInnen. Sie skizzieren vor allem zwei InterviewpartnerInnen – eine Journalistin und einen Freund der Teenager – aber auch Aussagen einer Mutter, Nachbarin, Lehrerin.

Mit diesen vertonten Fakten, Kommentaren, Vermutungen, versucht Librettist Ted Huffman das Geschehen zu rekapitulieren. Dieses fragmentarische Nacherzählen hat er aus selbst geführten Gesprächen destilliert. Der Gesang wird live gedolmetscht. Während Rabek singt, übersetzt Prakash in einen Sprechtonfall – und umgekehrt. Gelungen.

Das Orchester besetzt Komponist Philip Venables mit vier Cellisten, die mal mit Klangtupfern, mal mit Klangattacken arbeiten. Musik, Gesang und Spiel sind dabei mit Projektionen eines Chatverlaufs auf der Bühnenwand verknüpft: Kommentare der Live-Gucker wechseln mit Whatsapp-Dialogen von Autor und Komponist.

Schwierig nur, dass mit den Aufführungsrechten auch die -ästhetik gebucht ist. Dass die Musiker ihre Noten von iPads ablesen, dass jeder Ton über Lautsprecher erklingt – all das wurde vorab festgelegt. So ist die Erstaufführung der deutschen Fassung eher eine Neueinstudierung der Uraufführung, als eine eigene Interpretation. Jens Fischer

Letzte Vorstellung: Fr, 1. 4., 19.30 Uhr, Hannover, Ballhof Eins

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