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kritisch gesehenAnstößiges Gusseisen

So langweilig sind die Sachen gar nicht. Die Plastiken von Heinz-Günter Prager entfalten sogar einen ganz eigentümlichen Reiz, wenn das Hirn sich nicht mit der lapidaren Bestandsaufnahme zufrieden gibt, was das Auge denn da sieht. „Hier haben wir“, sagt Prager bei der Künstlerführung durchs Bremer Gerhard-Marcks-Haus beispielsweise über die einzige Blei-Arbeit in der ihm gewidmeten Retrospektive, „eine Platte mit Hohlräumen und Stangen“, und das ist es auch wirklich schon. „Die Stangen sind alle gleich lang.“

Da ist nichts, was durch dieses platt auf dem Boden liegende quadratische Metallstück dargestellt würde. Die Form drängt nicht zur Bedeutung jenseits ihres schieren Daseins, auch wenn das Material, hier Blei mit seiner weichen Schwere, süßem Tod, etwas anderes zu sagen scheint. Indem sich das Ding als Ding zeigt, das im Weg liegt, zwingt es dazu, sich zu ihm zu verhalten. Sonst wird es ja zur Stolperfalle. Gerade an diesen vier Stangen, die es in alle vier Richtungen spreizt, könnte man sich stoßen.

„Prager. Skulpturen“ heißt, schnörkellos wie die in ihr versammelten Arbeiten, die Ausstellung: Sie im Marcks-Haus zu zeigen, das auf gegenständliche Bildhauerei spezialisiert ist, eröffnet Perspektiven auf die ­anthropomorphen Quellen von Pragers antimimetischem Schaffen. Angetrieben ist es von grundsätzlichen Fragen nach Raum, der sich, immer wieder aufs Neue, im Verhältnis zwischen Betrachtenden und Betrachtetem auftut.

Eigene Proportionen

Sein System, darüber, und zwar meist in Gusseisen, nachzudenken, hat der 1944 geborene Bildhauer ab Ende der 1960er entwickelt, aufgrund eigener Forschungen zu Proportionen. In deren Zentrum stand der menschliche – weibliche – Körper, wie eine vitruvianische Reihe Schwarz-Weiß-Fotos zeigt: Eine nackte Frau, deren ausgespreizte Extremitäten – Fußsohlen, Kopf und Fingerspitzen – einen sie umgebenden Kreis berühren. Ein Ideal, auf dem Pragers Vorstellung von der bestmöglichen Größe einer Skulptur gründet, aber eben ein subjektives und „nicht normativ“, wie er sagt. Denn Normen zu setzen, sei etwas für Ideologen. Und die lehnt er ab.

Auch der geometrischsten Raumbesetzung bleibt so ein Residuum humaner Körperlichkeit eingeschrieben. Der Gegenstand wird zur möglichen Figuration, die diskret ihre Anstößigkeit verbirgt. Kühn ist insofern die Arbeit, die den Lichtsaal des Marcks-Hauses beherrscht, also den ersten und letzten Raum, den Be­su­che­r*in­nen betreten: Da liegen, mittig, zwei wuchtige, über 20 Zentimeter dicke Kreisscheiben mit zwei Metern Durchmesser, aufgeschnitten und mandelförmig übereinandergepuzzelt. „Mandorla“ hat Prager das Werk unschuldig betitelt. Diese uralte Form dient im Marienkult der Exteriorisierung verbotener Körperlichkeit und Einlassstelle des Heiligen. Hier begrüßt sie alle, die da kommen. Und niemand muss sie als Vulva sehen. Benno Schirrmeister

„Prager. Skulpturen“: bis 29. 5., Gerhard-Marcks-Haus, Bremen

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