piwik no script img

kritisch gesehenEin Bildband, der von Texten lebt

Leider reproduziert Oehler, der sich selbst als 08/15-Sexuellen beschreibt, viele Klischees und Bildwelten, die sattsam bekannt sind

Als Fotograf ist man ja leicht versucht, Sexarbeit für ein aufregendes Sujet zu halten. Es ist irgendwie aufregend und verrucht und geheimnisvoll; es bringt einen an Orte, an denen man sonst nicht fotografieren darf. So in etwa entstand auch das oppulente Werk „Sex-Workers“ des Hamburger Fotografen Tim Oehler, das jetzt, in bordellplüschiges Violett gehüllt, bei Gingko Press erschien. Er war mal in einer Ausstellung in Paris, war sodann inspiriert.

Jetzt hat er eine Mission: Sex-Arbeit ist Care-Arbeit heißt sie – Oehler will dem Beruf jenen Respekt verschaffen, den auch Sanitäter:innen, Hebammen oder Ärz­t:in­nen zumeist haben, will ihn aus dem Stigma befreien, der ihm da und dort noch immer anhaftet. Also fotografiert er viele Menschen, die freiwillig in dieser Branche arbeiten, und lieber hier selbstbestimmt ihren Körper als anderswo ihre Seele zu verkaufen. Ist Erwerbsarbeit im Kapitalismus nicht immer irgendwie Prostitution? Eben.

Leider reproduziert Oehler, der sich selbst als 08/15-Sexuellen beschreibt, viele Klischees und Bildwelten, die schon sattsam bekannt sind. Die Domina im roten Lackkleid, mit schwarzen Overknees, die Peitsche in der Hand. Die Fetischärztin einer BDSM-Klinik, Frauen, die an Stangen tanzen, ein Mann, der schwule Deutungsmuster bedient. Und so weiter. Sie kennen das, wenn Sie schon mal Bilder aus diesem Business gesehen haben. Da und dort hätte es dem Buch gleichwohl gut getan, die nicht ganz so gelungenen Porträts etwas großzügiger auszusortieren.

Zwar bildet das Buch eine gewisse Vielfalt an Menschen ab. Zwar thematisiert das Buch im Text auch alle jene, die unter Zwang und Ausbeutung oder einfach nur als Ar­muts­sex­ar­bei­te­r:in­nen leben. Es vergibt aber die Chance, diese Spannung zwischen selbst- und fremdbestimmten Sex-Workern in der Branche auch tatsächlich abzubilden. Das wäre natürlich viel schwieriger umzusetzen gewesen, hätte dem Buch aber auch viel mehr Tiefe verliehen. So sind am Ende vor allem jene Fotos spannend, auf denen die Porträtierten jenseits ihres Arbeitsplatzes fotografiert werden, zu Hause, beim Sport, als Privatmenschen, die Einblick in ihr Leben geben. Der Bildband lebt also nicht zuletzt von den Texten, die Sexar­bei­te­r:in­nen geschrieben haben, die hier eben mal für sich selbst sprechen dürfen.Jan Zier

Sex-Workers: Das ganz normale Leben, von Tim Oehler, Gingko Press GmbH, 288 S., 69 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen