kritisch gesehen: meisterschüler:innen, ausgestellt in braunschweig: Gondeln und Leuchtkäfer
Wenige Monate vor seinem gewaltsamen Tod veröffentlichte der italienische Filmemacher Pier Paolo Pasolini (1922–1975) den Aufsatz „Das Machtvakuum in Italien“, bekannt geworden unter dem Titel „Von den Glühwürmchen“. Mit dem über lange Jahre registrierten Rückgang dieser Leuchtkäfer meinte Pasolini aber mehr als eine ökologische Katastrophe: Es war sein poetisches und zugleich endzeitliches Bild für das Verschwinden humaner Werte – und der Kräfte linken Widerstands.
Auch Luis Kürschner sieht in den Glühwürmchen ein „verschwindendes Wunder“, lässt sie als riesengroße Keramiken verschiedener Entwicklungsstadien auf der Terrasse des Kunstvereins Braunschweig wieder auferstehen: Er ist einer von 20 Meisterschüler:innen, die in einem gemeinsamen Parcours dort ausstellen.
Keramiken begegnen einem öfters: So erinnern von Fabien Diffé Kamga aufgetürmte Schädelberge und separat gereihte Einzelstücke aus farbig glasiertem Ton an die koloniale Praxis ethnologischer Studien an Kopf und Körper, aber auch an christlichen Reliquienkult. Ansonsten scheinen Malerei, Video und Fotografie die vorherrschenden Techniken im aktuellen Meisterschuljahrgang.
Inhaltlich liegt die ganz persönliche Bespiegelung im Trend: Franca Behrmann verarbeitete fotografisch den Tod ihrer Mutter in vertraut erscheinenden, doch fremden Weltgegenden und Situationen. Frederic Klamt wird zum Protagonisten im eigenen Experimentalfilm, er muss ein System aus Lichtereignissen am Laufen halten.
Der früher so beliebten „raumgreifenden Installation“ frönt diesmal einzig Jakob Zimmermann: Als postmodern deformierter Pop-Nerd (so seine Selbstbeschreibung!) lässt er eine venezianische Gondel von gut elf auf etwa acht Meter Länge schrumpfen, einen Raum diagonal durchschneiden – und somit versperren. Damit setzt Zimmermann die Beschäftigung mit Sehnsuchtsorten fort: Für sein Diplom hatte der gebürtige Bayer sich einst „Märchenkönig“ Ludwig II. gewidmet.
Die Venedig-Arbeit nun wurde im Kunstverein gefertigt, und das mit Hilfe seiner Meisterschulkolleg:innen: Zusammen beschlossen sie die Raumverteilung wie auch ihren kürzlich verstorbenen Kollegen Juraj Černák zu würdigen. Dessen farbenfroh impulsive, in ihrer Direktheit verstörenden Kreaturen zwischen Mensch und Tier, gemalt und gesprüht auf dünnes Textil, besiedeln nun den repräsentativen Spiegelsaal. Bettina Maria Brosowsky
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