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kritisch gesehen: felicitias brucker inszeniert den schimmelreiter in braunschweigWinzig ist der Mensch, hilflos bei Flut

Dächer bedeuten die Welt: Der Rest ist untergegangen Foto: Björn Hickmann / Staatstheater BS

Mitten im Sturm kauert er und schreit. Mitten im Sturm, in tosender Flut, bricht der Deich. Hauke Haien muss Frau und Kind ertrinken sehen und stürzt sich mitsamt Pferd dann selbst in den Abgrund. Das ist das Ende des „Schimmelreiters“. Das Ende jenes zielstrebigen Manns, der sich irgendwo in Nordseenähe vom Kleinknecht zum Deichgrafen aufschwingt, der mit seinen innovativen Ideen das Dorf gegen sich aufbringt und scheitert. An seinen Visionen, an seinen Mitmenschen und an deren Misstrauen.

Am Staatstheater Braunschweig erzählt die Regisseurin Felicitas Brucker Theodor Storms „Schimmelreiter“ vom Ende her. Nach den ersten Spielminuten – atmosphärisch verstärkt durch galoppierende Rhythmik-Loops von Philippe Weber und surreale Videobilder von Florian Seufert – ist klar, dass die Sache nicht gut ausgeht. Laut und tosend beginnt Bruckers Inszenierung. Verzweifelt am Rande zum Wahn rutscht mit irrlichterndem Blick ihr „Schimmelreiter“ – den sie mit Gina Henkel weiblich besetzt – über die steilen Giebel. Keinen Deich, sondern ein Dorf hat die Bühnenbildnerin Viva Schudt entworfen. Vielmehr dessen Dächer. Geduckt und windschief stehen sie im Raum, verkeilen sich und sind auch mal Kletterwand für die acht allesamt überzeugenden Dar­stel­le­r*in­nen des Abends. Durch diesen führt Cino Djavid als Hauke Haiens und Elke Folkerts Kind gebliebenes Kind.

Mit einem schnellen Klatschen beendet Djavid die Spielszenen, leitet ruhig über zum nächsten, zum vorherigen Ereignis. Skizzenhaft erzählt Brucker darin vom kühnen Deichbauplan, von Widersachern, von der Einsamkeit und Wut der Trien Jans (Getrud Kohl), von Haiens Heirat mit Elke Folkerts (durchlässig und berührend: Nina Wolf), vom Aufstieg zum Deichgrafen, von seiner Zeit als Knecht beim alten Folkerts, von seiner Kindheit voller Wissbegier.

Recht unvermittelt wird man anfangs hineingeworfen in die Katastrophe, aus der es keinen Ausweg gibt. Und man muss sich vom Höhepunkt des Texts Stück für Stück den Weg zu dessen Anfang suchen. Eine interessante, etwas angestrengte Konstruktion, bei der vor allem die Gespenstergeschichten zwischen den Playmobil-ähnlichen Plastikdächern resonanzlos verhallen. Da helfen weder Nebelschwaden noch weit aufgerissene Augen.

Fern von Aberglauben oder Psychologie erzählt Brucker den „Schimmelreiter“ und rückt, ohne das Wort Klima auch nur einmal zu nennen, unsere Gegenwart in den Fokus. „Die Deiche müssen anders werden“ so lautet Haiens intrinsischer Impuls, der hier am Ende steht – und lange nachhallt. Katrin Ullmann

Der Schimmelreiter, Staatstheater Braunschweig, wieder am 17., 22., 25. und 31. 3., jeweils 19.30 Uhr, Großes Haus

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