kritisch gesehen: die jazz-reihe „surprise“ im rahmen des bremer musikfestes: Klassikfestival jazzt auf der Suche nach Jugend
Das Musikfest Bremen steht für höchstwertige Interpretationen Alter Musik und edle Klassikkonzerte. Denen folgt ein vornehmlich älteres Publikum gern mucksmäuschenstill, beanzugt und bewegungslos im schnieken Saal der „Glocke“.
Wer lieber hören möchte, wie andere Traditionen in die Zukunft fortgeschrieben werden, also etwa, wie Künstler:innen unterschiedlicher Generation, Herkunft und kultureller Identität ihre Kreativität im Jazz ausleben, und dazu eine weniger formelle Atmosphäre schätzt, für den haben die Veranstalter in diesem Jahr die Surprise-Reihe aufgelegt.
Auf dem rohen Betonboden im BLG-Forum der Überseestadt, einst Gabelstapler-Werkstatt für die Hafenwirtschaft, sitzt das Publikum an Mini-Tischen. Diese sind mit elektrischen Teelichtern und Blümchen gedeckt. Mit den 300 Besucher:innen des Mammal-Hands-Konzerts erzeugt das tatsächlich im Industrieambiente so etwas wie eine lässige Gemütlichkeit – bestimmt auch, weil es hier mehrheitskompatibel ist, Bier trinkend und in Freizeitklamotten der Musik zu lauschen.
Programmatisch scheitert sogleich der erste Versuch, auf den Reiz solistischer Ausflüge mit Applaus zu reagieren, der fortan nur noch zwischen den Stücken aufbrandet. Denn das Trio aus dem ostenglischen Norwich ist anti-angeberisch – was Kraft, individuelle Virtuosität und kompositorische Frickelei angeht.
Musiziert wird innig energetisch mit kollektiver Stimme. Dabei wird der jazzende Postrock von Electro-Sounds unterfüttert. Akkordischer Antreiber, mit repetitiven Mustern auch struktureller Haltepunkt, ist Pianist Nick Smart. Den umspielt Jesse Barrett mit filigraner Perkussionsarbeit. Im Zentrum aber sorgt der Saxofonist Jordan Smart für Spannung mit kreiselnden Tonfolgen als Spiel an und mit den Grenzen melodischen Ausagierens. Was aber nie in scharfkantig freien Improvisationen explodiert und erblüht.
In den längeren Stücken gelingen aus den simplen Minimal-Music-Ausgangsideen mit rauer Freude fulminante dynamische Entwicklungen. Die kürzeren Songs kommen mit melancholischer Freude eher neoklassisch belanglos oder tiefenentspannt als harmloser Ambient-Jazz daher: Alles in allem eine zwischen hypnotisch groovenden Klangwallungen und Einfachheit als Tugend feiernden Klanggefälligkeiten hin und her reißende, aber stets fein abgestimmte Trio-Performance. Jens Fischer
Musikfest Bremen: 3. Surprise-Konzert, Jas Kayser (Schlagzeug), Daisy George (Kontrabass), Alex Blake (Gitarre) und Richie Sweet (Percussion), 24. 8., 21 Uhr, BLG-Forum, Energieleitzentrale, Speicher XI, Bremen
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen