kritik der woche : Besuch im kleinen Grauen
Bleiern kühl und griesegräsig grau ist die Finsternis, in die der Ausstellungssaal getaucht ist. Die darin in Originalgröße aufgebaute Spielplatz-Installation mit Schaukel und Karussell wird von einem Betonplankenzaun umgeben, mit Schmuddelschnee und Eispfützen grundiert. Keine Fußspuren – ein verlassener Ort. Unwirtlich, unbehaglich, unheimlich. Ja, gruselig wird Hans Op de Beecks „Merry-Go-Round“ (2005) von medial geschultem Sensorium wahrgenommen. Als nächtlicher Ort, wo Untote dem Boden entsteigen, Psychopathen ihre Messer wetzen, unsere Kindheitstraumata Gestalt annehmen könnten. Ein Ort, der noch stärker emotional aufgeladen wird, weil aus dem verhüllten Karussell jenseitig hallende Stimmen hervorsingen. Eine Gespensterparty?
Unsicher durchschreitet man das Kunstwerk, spürt, wie der Körper seine Muskeln wehrhaft anspannt. Man wird als Betrachter zum Gejagten und Gesuchten innerer Bilder. Ängstlich. Erregt. Lustvoll. So soll dieses freiwillige Eintauchen in eine Situation der imaginierten Gefahr erlebt werden – wie im Kinderspiel oder auf dem Jahrmarkt. Aber wenn man erkennt, dass der „schwarze Mann“ nur ein anderes Kind ist, das einem mit einem Klapps aus dem Spiel werfen kann, die Geisterbahn ihre Fahrgäste unversehrt ausspuckt – und Op de Beeck alles nur aus Holz und Kunststoff zusammengebastelt hat, verblasst der Reiz solcher Inszenierungen, dann hält man das Rückkehrticket in die scheinbar abgesicherte Alltagsexistenz bereits in den Händen.
Die „Night Sites“-Ausstellung des Kunstvereins Hannover thematisiert eindrucksvoll das Unheimliche hinter der Heimeligkeit eines kontrolliert geheimnislosen Daseins. Suggestiv feiert man die Strategien eines fiktionalen Realismus, der den Betrachter so behände in Kunstwerke hineinführt, dass sie zu unhinterfragten Erfahrungsräumen werden – fürs Rumoren im Dunkeln des eigenen Ich. Was bei Hans Schabus auf beeindruckend schlichte Weise funktioniert. Für ihn ist der Ausstellungsraum nie neutrale Präsentationsfläche, sondern stets spezifischer Ort voller Bezüge, den sich der Künstler aneignet, um ihn einer physischen und psychischen Redimensionierung zu unterziehen. In Hannover löst er die Architektur des großen Oberlichtsaals auf, übersetzt sie in eine neue Funktion, indem er den Boden zu einem 31 Meter langen Tunnelgang zusammenklappt. Lichtlos, eng. Da muss man durch. Verkrampft schleichend, Oberkiefer auf der Unterlippe, Hände an der Wand, überall unbestimmte Bedrohungen erwartend. Viel Zeit, sich Gedanken zu machen, Schabus‘ „Schock- Korridor“ etwa theologisch als Durchgangsstation zu begreifen. Am anderen Ende schockt ein grellweiß fensterloser Kubus (Stephanie Smith/Edward Stewart: Release, 1999), dessen einziges Interieur, eine Glühlampe, immer wieder zur totalen Dunkelheit heruntergedimmt wird – während ein schweres Atmen in der Luft liegt. Schlaf der Vernunft? Es ist das Erlebnis einer konkreten, doch nie fassbaren Gefahr und des kurzzeitigen Verlusts von Orientierung, was die Kunstwerke auszeichnet. Eine Dramaturgie, die den klassischen Kino-Thrillern entspricht. Daher arbeiten Jennifer & Kevin McCoy gleich explizit cinematografisch: Suburban Horror, 2003. Mit HO-Modelleisenbahn-Bausätzen haben sie Filmsets nachgebaut. Etwa eine Vorstadtidylle wie bei David Lynch. Frau in der Küche, Mann beim Rasenmähen, Paar am Kamin beim Sex. Gleich daneben Horrorszenen: blutig an die Wand geklatschte Figuren und ein Hackebeilwesen, das durch die Hauswand bricht. Eingefangen von Dutzenden Kameras, unterlegt mit pathetischer Musik, so werden die statischen Szenen zu einem Kurzfilm montiert, der vom Einbruch des Grauens in die graue Wirklichkeit erzählt. Und mahnt, Erwartetes und Unerwartetes in eine Balance zu bringen. Sonst wird es bedrohlich. Und nicht so wohlig kribbelig – wie beim Besuch der „Night Sites“. Jens Fischer
„Night Sites“ im Kunstverein Hannover, bis 5. 2.