„krieg und frieden“: ein tagebuch: Russische Putzaktionen in Armenien
Aus Jerewan Sona Martirosyan
„Aschotik, renn nicht so schnell, sonst fällst du hin. Fass deine Freunde an den Händen“, ruft die junge Erzieherin, bevor sie mit einer Gruppe kleiner Kinder einen langen, kalten Tunnel in Armeniens Hauptstadt Jerewan entlangläuft.
Die junge Frau macht sich ein bisschen Sorgen: Zum ersten Mal ist sie hier mit ihren kleinen Schützlingen unterwegs. „Tante Mara, guck mal, der Onkel dort hat lange Haare“, ruft eins der Kinder und zeigt auf ein paar junge Leute, die nicht weit von der Gruppe Müll in schwarze Plastiksäcke sammeln. „Schäm dich und schweig“, fährt ihn die Erzieherin an. „Warum soll ich mich schämen, die verstehen mich doch gar nicht“, beharrt das aufgeweckte Kind.
Der langhaarige junge Mann hat aber sehr gut verstanden: Hier spricht jemand über seine für armenische Verhältnisse ungewöhnlich langen Haare. Er winkt den Kindern zu und ruft: „Komm rüber und hilf uns!“
Aber Aschotik ist das jetzt peinlich, er läuft zu seiner Erzieherin und umarmt sie. Noch vor einigen Monaten hätte man sich solch eine Szene kaum vorstellen können: Die Fußgängertunnel, die zur Kindereisenbahn führten, waren die vielleicht schrecklichsten Orte in Jerewan. Im Laufe der Jahre überließ man sie ihrem Schicksal. Ihre Besitzer wechselten: Drogensüchtige und Obdachlose.
Dies hat sich jetzt ebenso geändert wie die Hauptsprache der Speisekarten in den Cafés und Restaurants Armeniens: von Armenisch zu Russisch. 57.000 Russen haben mittlerweile beschlossen, dauerhaft in Armenien zu bleiben.
Dima, einer der Freiwilligen, die hier Ordnung schaffen, hat praktisch alle Sehenswürdigkeiten Armeniens besucht. Er sagt: Jeder Bezirk, jedes Dorf hat seine Besonderheiten, aber sie alle haben eins gemeinsam: den Müll, der jahrelang dort lag. „Als wir den Sewansee säuberten, haben wir allein 70 Säcke mit Plastikmüll und zwei alte Reifen aus dem See und dem Küstengebiet geholt“.
Es ist schwierig, die Verursacher der Vermüllung zu finden. Leute, die aufräumen, findet man dagegen sehr leicht. Erstaunlicherweise waren die ersten gesellschaftlichen Initiativen von Russen, die nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine nach Armenien kamen, um sich hier niederzulassen, ökologische.
Zuerst in kleinen Gruppen und dann mit Tausenden von Gleichgesinnten gründeten die russischen Migranten die Initiative greengreen, mit aktuell mehr als 7.000 Aktiven, und begannen, Armenien vom herumliegenden Müll zu reinigen. Mehr als 60 Tonnen Müll wurden bislang eingesammelt
Die ersten Aktionen der Gruppe waren allerdings nicht unumstritten. „Verpisst euch in euer Land, ihr verdammten Besatzer“, schrieben einige Armenier in den sozialen Medien, aber nach und nach wurde allen klar: Wenn man sein Haus nicht aufräumt, werden es diejenigen tun, die darin leben wollen.
Aus dem Russischen von Gaby Coldewey
Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung. Das Tagebuch ist online bei taz.de auf Russisch und Deutsch zu finden.
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