kreuzigungen sind nicht billig:
von RALF SOTSCHECK
Die Maul- und Klauenseuche, wer hätte das gedacht, bringt nicht nur Verderben über das Land. Nachdem die Republik Irland am vorigen Donnerstag den ersten Krankheitsfall vermelden musste, erschien erfreulicherweise eine Anzeige in der irischen Wochenzeitung The Irish Family. Auf einer ganzen Seite verkündete die katholische „Human Life International“ (HLI), jene Gruppe von extremen selbsternannten Lebensschützern: „Der Pfad zum Sieg musste wegen der Maul- und Klauenseuche verschoben werden.“
Der Pfad zum Sieg? Die HLI wollte gestern im Wallfahrtsort Knock einen Bettag gegen Abtreibung organisieren. Es geht der Organisation vor allem um ein neues Referendum. Seit dem „Fall X“ vor acht Jahren, als einer 14-Jährigen, die nach einer Vergewaltigung schwanger geworden war, erst das höchste irische Gericht die Ausreise zu einer Abtreibung in England erlaubte, herrscht Ungewissheit: Theoretisch sind Abtreibungen bis zur Geburt erlaubt, wenn Lebensgefahr für die Mutter besteht – und dazu zählt auch Selbstmordgefahr. Praktisch wird ein Arzt freilich von der Ärztekammer mit Berufsverbot belegt, wenn er eine Schwangerschaft abbricht.
Die HLI hatte gestern mit einem vollen Haus in der gigantischen Dorfkirche von Knock gerechnet – das Gebäude fasst 7.500 Gläubige. In Knock hatten 15 Menschen am 21. August 1879 morgens um acht eine Erscheinung: Sie sahen Maria und Josef, Johannes den Täufer, der als Bischof verkleidet war, darüber schwebten das Christuskreuz, ein Engel und ein Lamm. Ein Lamm! Offenbar befürchtete die HLI, das dieses Lamm zurückkehren und die Seuche verbreiten könnte.
Die Verschiebung des Betmarathons sei aber nur „ein kleiner Umweg auf dem Weg zum Sieg“. Der Sieg, auf den man sich beziehe, sei Christi Sieg am Kreuz. Führt der „Pfad zum Sieg“ also geradewegs zur Kreuzigung? Und wer soll hier gekreuzigt werden? Vorerst jedenfalls niemand, denn die HLI funktionierte den Tag zum „Bettag gegen die Maul- und Klauenseuche“ um. Das soll man aber lieber zu Hause tun. Dabei kommt es aber auf den richtigen Zeitpunkt an: „Es ist absolut lebenswichtig, dass dieses Gebet zum Himmel steigt – sowohl für die Pro-Leben-Kampagne, als auch für die Maul- und Klauenseuchenkrise.“ Deshalb sollten alle gestern um genau 15 Uhr einen Rosenkranz beten. Gott ist wohl etwas schwerhörig, so dass man geballt beten muss, damit die Botschaft bis nach oben dringt.
So ganz traut die HLI ihren Pappenheimern wohl nicht. Sie wollte es lieber schriftlich: „Füllen Sie bitte den Coupon mit der Betzusage aus und schicken ihn uns zu“, hieß es in der Anzeige. „Macht mit bei unserem entschlossenen langfristigen Kampf für das wundervolle Heiligtum des Lebens, des Glaubens und der Familie. Gott möge gegenüber unserer Nation Gnade walten lassen.“ Und ER möge etwas Geld locker machen: „Wir glauben, dass der Herr sich um alle unsere finanziellen Bedürfnisse kümmern wird.“ ER soll die Leser inspirieren, nach ihren Schecks zu greifen und generös zu spenden. Kreuzigungen sind nicht billig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen