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Archiv-Artikel

kommentar Strom: kein Produkt wie jedes andere

Wenn sich das Steak im Kühlschrank verfärbt, dann wird Politik privat. Mittlerweile ist die Elektrizitätsversorgung Nordamerikas zwar wieder im Gange – doch die Folgen des großen Stromausfalls in den Vereinigten Staaten und Kanada werden die Verantwortlichen noch einige Zeit beschäftigen.

 Vor allem die Bush-Regierung muss stellvertretend für ihre Vorgänger im Amt erklären, warum Teile des Energiemarktes zu sehr dem freien Spiel des Marktes überlassen wurden. Schließlich wurde der Saft aus der Dose in den USA Ende vergangener Woche nicht zum ersten Mal knapp. Was dort offensichtlich fehlt, ist nicht nur ein sparsamerer Umgang mit der Antriebskraft, sondern auch eine vernünftige politische Regulierung des freien Wettbewerbs.

 Strom ist kein Produkt wie jedes andere. Elektrizität ist wichtiger als Hausschuhe, Orangenmarmelade oder Computerzeitschriften. Die Märkte für diese Produkte kann man in weitem Umfang sich selbst überlassen. Beim Strom verbietet sich das, denn auf dem ausreichenden Vorhandensein von Energie basiert nicht nur das moderne Alltags-, sondern auch das Wirtschaftsleben. In der europäischen Diskussion wird die Stromversorgung deshalb dem Bereich der „öffentlichen Daseinsvorsorge“ zugerechnet.

 Das ist ein großes Wort. Es bedeutet, dass die Gesellschaft zentrale, für die Allgemeinheit wichtige Wirtschaftsbereiche einer wirksamen staatlichen Steuerung unterwirft. Damit will man sicherstellen, dass der Nutzen möglichst für alle Bürger zu jeder Zeit gewährleistet ist. Zu hohe Preise, eine gefährliche Verknappung des Angebots oder eben auch die technische Verwahrlosung der Infrastruktur lassen sich mit politischen Maßnahmen zumindest einschränken.

 Der amerikanische Stromcrash ist ein guter Beleg dafür, dass die Warnungen der Globalisierungskritiker berechtigt sind. Die Ideologie vom puren Funktionieren der Markgesetze, gepaart mit der politischen Unfähigkeit, die Privatisierung zu lenken, kann dem allgemeinen Interesse an einer gesicherten Versorgung mit zentralen Gütern zuwiderlaufen. Das gilt für Elektrizität ebenso wie für sauberes Trinkwasser, Müllbeseitigung, Krankenversorgung und öffentliche Straßen.

 Zwei Jahrzehnte liegen hinter uns, in denen die liberale Theorie die Meinungsführerschaft innehatte. Die interessanteste Frage hieß: Wie viel Deregulierung ist nützlich? Nun wendet sich das Blatt. Die nähere Zukunft gehört einer anderen Frage: Wie viel Regulierung ist notwendig? HANNES KOCH