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Archiv-Artikel

kommentar Tötet Sabine Christiansen bitte nicht!

Per einstweilige Verfügung wurde gestern die umstrittene Dresdener Inszenierung der „Weber“ gestoppt

Kunst, das wenigstens lehrte die Verhandlungsfarce gestern am Dresdner Landgericht, darf auch nicht alles. Die Grenze liegt dort, wo sie Rechte von gleichem Verfassungsrang berührt, wie die in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte Freiheit der Kunst eines ist. Künstler, die sich im Sinne eines berühmten Wortes von Heinrich Böll in diese Grenzzone wagen, dürfen aber zumindest erwarten, dass man ihr Werk als Ganzes zur Kenntnis nimmt, bevor man darüber urteilt.

Besucher, die regelmäßig nach den Dresdner „Webern“ im Foyer diskutieren, verlieren kein Wort über die inkriminierten Verbalattacken auf Politpromis und den rhetorischen Schönheitssalon einer Sabine Christiansen („Wen ich sehr schnell erschießen würde, das wäre Frau Christiansen …“). Sie reden über das, was in der zeitnahen Adaption des Stoffes aus dem 19. Jahrhundert wirklich brennt, über Ausbeutung und Arbeitslosigkeit. Die Bild-Zeitung aber hatte die Premiere gar nicht gesehen, als sie sich die Schröder- und Milbradt-Schmähungen herausgriff. Und Frau Christiansen und ihr Anwalt bekommen nun nicht einmal Gelegenheit, sich ein „Bild“ vom Kontext der Hassausbrüche zu machen, nachdem der Verlag den Chor der Dresdner „Weber“ zunächst verbieten ließ. Für beide könnte sich ihr Vorgehen am Ende als ein Selbsttor herausstellen. Auch das „Weber“-Verbot des Berliner Polizeipräsidenten von 1892 hatte nicht lange Bestand. MICHAEL BARTSCH