kommentar: Afghanistan: Erst die Bomben, dann das Brot
Es sage niemand, er sei überrascht. Der Krieg gegen Afghanistan hat begonnen. Weder die Art der von den USA und Großbritannien begonnenen Angriffe noch die ausgewählten Ziele sind unerwartet. Nach dem, was die Militärs berichten und die entsprechenden Nachrichtensender weltweit verbreiten, sind zunächst die bekannten Schaltzentralen der Taliban-Regierung, ihre militärischen Einrichtungen und die Luftabwehrstellungen mit Mittelstreckenraketen bombardiert worden. Und dass ein Angriff noch rechtzeitig vor dem 11. Oktober erfolgt, wenn genau ein Monat seit den Anschlägen von New York und Washington vergangen sein wird, war auch abzusehen.
Das Ziel dieser ersten Angriffswellen, da waren sich die eiligst konsultierten Militärexperten gestern abend erstaunlich schnell erstaunlich einig, sei es, die Infrastruktur der Taliban zu zerstören, die erhoffte „Implosion“ ihrer Regierung militärisch zu unterstützen, die Taliban aus den Städten zu vertreiben und die Zivilbevölkerung zu versorgen. Brot und Bomben.
Sowohl George W. Bush als auch Tony Blair erklärten erneut, wie großartig die Koalition gegen den Terrorismus sei und wie sehr ihnen am Wohlergehen der afghanischen Bevölkerung gelegen sei. Das müssen sie sagen - schließlich ist die Koalition in Wahrheit so stabil nicht, und die Reaktionen in Pakistan und der islamischen Welt hängen wesentlich davon ab, dass das erklärte Ziel des „Krieges gegen den Terrorismus“ sich auch im Kriegsverlauf erkennen lässt.
Aber warum eigentlich sollen wir glauben, dass es einem Regime, dass seit seiner Machtübernahme 1996 die Bevölkerung Afghanistans brutal terrorisiert hat, nicht möglich sein soll, die Bevölkerung auch jetzt den Preis für die US-Angriffe zahlen zu lassen? Zudem die Taliban fast einen Monat Zeit hatten, sich auf die jetzt eingetretene Situation vorzubereiten?
Der für das Publikum deutlichste Unterschied zum Beginn des Golfkrieges 1991 ist, dass es noch weniger unabhängige Berichterstattung geben wird. Die verschneiten Bilder, die vom Nachthimmel über Kabul gestern abend um die Welt gingen, sagen noch weniger über die tatsächlichen Auswirkungen der Angriffe aus als die CNN-Bilder aus Bagdad 1991. Es wird ein Krieg sein, über dessen wirklichen Verlauf die Öffentlichkeit möglicherweise nie etwas erfahren wird. Und macht es uns eigentlich misstrauisch, dass die wesentlichen Informationen just von den größten Nachrichtensendern jener Länder kommen, die den jetzt begonnenen Krieg maßgeblich führen?BERND PICKERT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen