kommentar von Jörg Michel zum Wahlergebnis in Kanada: Gegen den Trend nach rechts
Es war eine bemerkenswerte Wahlnacht im fernen Kanada. Während sich weltweit in vielen Ländern angesichts der Flüchtlingskrise rechtspopulistische Parteien und Parolen immer mehr ausbreiten, haben die Kanadier ein gegenteiliges Zeichen gesetzt. Sie haben ihren rechts-konservativen Regierungschef Stephen Harper nach fast zehn Jahren in den Ruhestand geschickt und sich für einen Neuanfang links der Mitte entschieden.
Dabei hat auch in Kanada die Flüchtlingskrise eine entscheidende Rolle gespielt – aber ganz anders, als man es vermuten würde. Harper hatte geglaubt, mit antiislamischen Parolen punkten zu können, insbesondere bei den nationalistischen Wählern in der französischsprachigen Provinz Québec. Er wetterte gegen Frauen mit muslimischem Gesichtsschleier, warnte vor sogenannten barbarischen kulturellen Praktiken und wehrte sich gegen die Aufnahme von mehr Flüchtlingen.
Doch der Schuss ging nach hinten los. Je länger die Kanadier Harpers populistische Parolen ertragen mussten, desto mehr wandten sie sich angewidert ab. Statt um Harpers eigentliche Kernthemen Wirtschaft oder Steuern ging es im Wahlkampf am Ende fast nur noch um die Frage von Werten. Viele Kanadier fragten sich: Ist Harpers Kanada noch unser Kanada? Wollen wir wirklich in einem Land leben, in dem die Mehrheit die Rechte von Minderheiten mit Füßen tritt, nur um eines kurzfristigen politischen Vorteils willen?
An der Wahlurne haben die Kanadier die Frage am Montag eindeutig mit Nein beantwortet. Sie hatten einfach genug von ihrem Premier, der sie in den letzten zehn Jahren mit seinen ständigen Antiterrorgesetzen, seiner spaltenden Rhetorik und seiner muskelbepackten Außenpolitik immer stärker von ihrem eigenen Land entfremdet hatte. „Wir wollen unser Land zurück“ war in Kanada einer der populärsten Sätze der letzten Wochen.
Mit Justin Trudeau haben sich die Kanadier nun für einen liberalen Newcomer entschieden, der als neuer Regierungschef die großzügige Einwanderungstradition des Landes verteidigen, mehr Flüchtlinge aufnehmen und das Land zusammenführen statt gegeneinander ausspielen möchte.
In Zeiten wie diesen ist das ein ermutigendes Zeichen.
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