kolumne: STEPHEN DON KING KONG – GAME OVER!
Skandale sind in kleinen Dörfern am größten – und verbreiten sich wie ein Lauffeuer. Genauso geht’s im Internet, eigentlich voll globalisiert, aber im Grunde seines Herzens ist das World Wide Web ein Dorf – Global Village eben. Keine Woche vergeht, in der sich die Netzgemeinde nicht wegen sonst was empört und lautstark über Spam-Mails oder illegale MP3s zetert. Jetzt gibt es einen neuen Aufreger: Stephen King. Ausgerechnet der Horror-Opa kokettiert mit dem technischen Fortschritt, hegt und pflegt eine eigene Homepage unter www.stephenking.com und hat eine Erzählung exklusiv fürs Internet verfasst. Eine autorisierte gedruckte Version seines E-Books „Riding the Bullet“ wird es nicht geben. Grund genug für alle King-Anhänger, die Onlinebuchläden zu stürmen und die Server zusammenkrachen zu lassen. Und Anlass genug für die restliche Welt, das Ende der besinnlichen Lesestunden auf dem Sofa und den Beginn einer Ära der Elektrolektüre einzuläuten.
Stephen Don King Kong turnt mit seiner Cyber-Mär durch die Presse und lässt sich vorwiegend auf den Multimedia- und Internetseiten der Zeitungen nieder. Ins Feuilleton packt er es jedoch wieder einmal nicht, denn was in seinem Buch drinsteht, interessiert offenbar keinen. Die Form dominiert den Inhalt, aber: Hat sich eigentlich irgendjemand schon getraut, die Horrorgeschichte auch zu lesen? Ich nahm es mir fest vor, und da ich zu Hause onlinelos bin, legte ich eine einsame Gruseleinheit in der leer gefegten Redaktion ein. Eine prächtige Kulisse für eine elektrisierende Schauerlektüre; Schlag 20.30 Uhr beginnt die Geisterstunde.
Auf Kings Hausverlag unter www.simonsays.com kostet der Spaß 2,50 Dollar, aber der Onlinegroßbuchhändler www.amazon.com verramscht die Erzählung bereits und bietet sie zum kostenlosen Download an. Zuerst muss man sich jedoch einen Reader als Buchstütze aufspielen. Endlich kann das Lesehappening beginnen. Der Versuch, die 63 Seiten auszudrucken, wird mit einem lapidaren „No printing is permitted“ quittiert. So lese ich brav am Bildschirm, Seite für Seite, klick and rush. Mit einer Übersetzungsmaschine im Hintergrund (Spickzettelempfehlung: www.allwords.com) werden Vokabellücken in null Komma nichts geschlossen. Nach zwanzig Seiten bin ich zum absoluten E-Book-Fan geworden.
Aber dann stellt sich heraus: „Riding the Bullet“ ist eine echte Trantüte. Und je weiter ich vordringe in das durchschaubare Schicksal von Kings Held Alan Parker, umso langweiliger wird das E-Book-Experiment. Von wegen Gänsehaut! Seine „Geistergeschichte in großer Manier“ – wie Stephen King selbst urteilte – hat er einfach aus dem altbekannten Gruselkabinettmobiliar zusammengezimmert: Geisterfahrer und Grabsteine bei Nacht und Nebel plus eines 21-jährigen Hasenfußes. Der trampt zu seiner im Sterben liegenden Mutter und wird dummerweise von einem Toten mitgenommen. Das alles lehrt allerdings nicht das Fürchten, sondern das Gähnen. Dennoch bin ich an diesem Abend vor Schreck fast gestorben: Plötzlich stand der Nachtwächter neben mir, wie aus dem Nichts. Und verschwand wieder. Mit Herzklopfen las ich das Buch zu Ende und erholte mich dabei von diesem Schock.
Beruhigt können alle sein, die bereits die Schreckensvision hatten, das E-Book verjage demnächst Buch und Bücherregale. Keine Sorge, solange bloß Stephen King ins Netz geht, besteht keine Gefahr. Und erst recht nicht, solange findige Hacker den Verschlüsselungscode knacken: Mittlerweile geistert „Riding the Bullet“ lässig als raubkopierte PDF-Datei durchs Web.
JUTTA HEESS
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