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kolumne die eine frageIt’s the culture, stupid!

Wie verteidigt man die liberale Demokratie? Ein Abend mit dem Londoner Historiker Timothy Garton Ash in Berlin

Peter Unfried

ist Chefreporter der taz

An einem Donnerstagabend Ende November stand Timothy Garton Ash in einem Laden in der Nähe des Berliner Bahnhofs Friedrichstraße, lächelte in das geladene Publikum Richtung Bundespräsident a. D. Gauck und sagte dann lässig: „It’s not the economy, it’s the culture, stupid!“

Mit dieser Punchline positioniert sich der Londoner Historiker in der Kontroverse um die Gründe des Aufstiegs populistischer Nationalisten gegen die primär sozioökonomische Interpretation. Anders als in den USA und Großbritannien sieht er in der Bundesrepublik (und in Polen) eher eine „Ungleichheit der Aufmerksamkeit und des Respekts“. Gerade Aufmerksamkeit sei die führende Währung der digitalisierten Gegenwart. Ein Hauptfehler der liberalen Weltbürger, also unsererseits, bestehe darin, die anderen zu schnell als Sexisten, Rassisten und Faschisten abzuurteilen.

Hier muss man vielleicht zunächst etwas zu dem Wort „liberal“ sagen. Garton Ash, 63, sprach auf dem ersten Geburtstag des Berliner Thinktanks „Liberale Moderne“. Dessen Gründer Marie­luise Beck und Ralf Fücks werden immer noch gern gefragt, ob sie als langjährige Spitzen-Grüne „denn jetzt FDP“ seien. Offenbar ist manchen „Linksliberalen“ nicht klar, dass längst nicht nur die identitätspolitischen Emanzipationen und individuellen Freiheitszuwächse der letzten fünfzig Jahre liberale Fortschritte sind.

Die anzugehenden Probleme sind für Garton Ash die „finanzialisierte Globalisierung des Kapitalismus“, die unkontrollierten „privaten Supermächte“, etwa Facebook, die Verflechtung von Geld und Politik, aber eben auch der Umgang des einen Teils der Leute mit dem anderen. Vereinfacht gesagt, sieht er 50 Prozent Weltbürger, akademisch, urban, liberal. Und 50 Prozent andere, eher kulturell national orientiert, aber „bei Weitem nicht xenophob“.

Und nun hat man die Wahl. Man gibt ihnen Aufmerksamkeit und Respekt. Oder man überlässt die „Redistribution von Würde“ den autoritären und antidemokratischen Nationalisten, so wie das in Polen passiert ist. Oder in den USA. Und noch mal: Wir reden hier nicht von den Funktionärsnazis in der AfD und den antiliberalen Spindoktoren.

An dieser Stelle steht dann mit hundertprozentiger Sicherheit eine antifaschistische Vorkämpferin auf und hält ein Plädoyer, sich auf den eigenen Stamm zu konzentrieren und „nicht immer auf die anderen 50 Prozent“ zu schauen.

Immer die! Das ist die Umdrehung des Vorurteils, das die anderen haben. Dass die Weltbürger immer nur über sich und ihre Werte sprechen. Gerade auch dann, wenn es um Einwanderung geht, die symbolische Oberfläche, auf der der Streit ausgetragen wird.

Einwanderung zu managen sei nicht illiberal, sondern Grundbedingung einer liberalen Gesellschaft, sagt Garton Ash. Damit schaffe man das notwendige Gefühl, um das es vielen geht: das Gefühl, dass alles unter Kontrolle ist.

Wir können das autoritäre Konkurrenzmodell und völkischen Nationalismus nicht mit Universalismus und Internationalismus abwehren. Der Kampf um die liberale Demokratie werde national entschieden, in der eigenen Sprache, im eigenen Land. Mit dem besseren Heimatbegriff und, wenn es nach Garton Ash geht, auch mit Heimatministerium, „aber einem liberalen“.

Wenn du Leuten sagst, dass sie der letzte Dreck sind, dann verteidigst du nicht die Gesellschaft, sondern du spaltest sie in moralisch oben und moralisch unten, wie Hillary Clinton und auch Michelle Obama. Gerade weil wir die großen normativen Errungenschaften verteidigen, müssen auch wir andere Lebensvorstellungen und Werte respektieren und einbinden können. Wir müssen argumentieren, zuhören und anerkennen, um die demokratische Mehrheit zu verteidigen.

Hart. Aber anders geht es nicht.

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