koalitionsvertrag: Um Gerechtigkeit bemüht
Wenn jetzt nicht die Lobbyisten auf die Barrikaden gingen, dann hätten die Koalitionäre schlecht gearbeitet, erklärte der Parteivorsitzende Fritz Kuhn. Falls das im Umkehrschluss bedeuten soll, dass die Arbeit umso mehr Anerkennung verdient, je größer der Sturm der Entrüstung ist, wird man das rot-grüne Verhandlungsergebnis nur als glänzend bezeichnen können. Denn Ärger wird es geben, und zwar großen. Das war allerdings auch nicht anders zu erwarten.
Kommentarvon BETTINA GAUS
In Zeiten der Rezession gibt es für Regierungen und Regierte vergnüglichere Dinge als einen Kassensturz. Wenn es gilt, ein gigantisches Haushaltsloch zu schließen, dann kann kein Politiker auf jubelnde Zustimmung rechnen – und den beiden, die gestern die bitteren Botschaften verkünden mussten, war anzumerken, dass sie das wussten. Entsprechend wolkig klangen manche ihrer Formulierungen.
Am Ergebnis gibt es jedoch wenig zu deuteln: Mehr Schulden, höhere Steuern – für die Franz Müntefering verzweifelt nach fantasievollen, anderen Begriffen suchte –, höhere Rentenbeiträge, ein weiterhin scharfer Sparkurs. Über alledem schwebt das Prinzip Hoffnung: dass sich die konjunkturelle Lage – bitte, bitte! – nicht weiter verschlechtern möge und dass wenigstens die erwarteten Einnahmen aus der geplanten Reform des Arbeitsmarktes tatsächlich fließen. Sollte das nämlich nicht so sein, dann wird neu gerechnet werden müssen.
Es hätte der Glaubwürdigkeit gut getan, wären einige der jetzt angekündigten Maßnahmen auch im Wahlkampf nicht ausgeschlossen worden. Aber die Bevölkerung ist Kummer gewohnt. Sie wird nicht schockartig von der Mitteilung getroffen, dass die öffentliche Hand weit ausgestreckt ist. Es mag der Regierung helfen, dass nun sehr viele unterschiedliche Gruppen zahlen sollen: die Kapitalgesellschaften, die Häuslebauer, die Arbeitnehmer, die Arbeitgeber, die Autofahrer, die Bahnfahrer, die Nutzer von Gasheizungen. Um nur einige zu nennen.
Zumutungen werden leichter akzeptiert, wenn sie als gerecht empfunden werden, und zumindest auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob sich die Regierung um Gerechtigkeit wenigstens bemüht habe. Nicht hinnehmbar ist es allerdings, wenn jeglicher Protest gegen Einzelmaßnahmen mit dem unschönen Wort des „Lobbyismus“ belegt wird. Die Lobby der Bahnfahrer, beispielsweise, kann man auch einfach als Öffentlichkeit bezeichnen. Das klingt weniger anrüchig und ist präziser.
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