kikkerballen: Während du schliefst, hat sich nicht so viel verändert
Rumänien bleibt halt Rumänien
Wo der Mensch seine Realität hinsetzt, was er fixiert, das ist sein Gott, seine Welt, sein Alles. (Novalis, „Noten an den Rand des Lebens“)
Große Fußballturniere beginnen nicht erst beim Eröffnungsspiel, in dem wie immer ein neuer in Geheimlabors entwickelter Ball zum Einsatz kommt. Zuvor gibt es die Vorbereitung. In der Vorbereitung hatten die Jugoslawen kaum jemanden gefunden, der mit ihnen spielen wollte. So hatten sie gegen eine Journalistenauswahl spielen müssen und waren noch eine Woche vor dem Turnier in Asien, wo sie unter anderem gegen eine Stadtauswahl aus Hongkong verloren. Das hatte eine tatsächliche Tragik, die durch das überraschend locker gegen Slowenien herausgespielte 3:3 wieder so halb ausgeglichen wurde. In der zweiten Halbzeit des Spiels dachte man an die EM 92, als Jugoslawien die spielstärkste Mannschaft der Welt gewesen war und nur durch geheime Interventionen des DFB an größeren Erfolgen gehindert wurde. So die Verschwörungstheorie jedenfalls.
Vor dem Anstoß des ersten Spiels muss man selber schon fertig sein mit der großen Fußballwette, in der man – bei der Times oder im betriebsinternen Wettspiel der taz – alle Vorrundenspiele und auch den vermeintlichen Europameister tippt. Wenn man nur so halb kompetent ist, also lediglich die Vorbereitungsspiele der deutschen Mannschaft gesehen hat, ist das ein reines „va banque“. Man hat keine Lust, die Mannschaften nach der letzten WM oder der letzten EM zu beurteilen, und die Zeitungstexte, die man über den derzeitigen Stand des spanischen Fußballs etwa lesen kann, sind halt Papier. Auf dem Platz sieht’s dann anders aus, und man ärgert sich über seine stets falschen Tipps.
Anders als die Leute an der Börse wettet man sowieso eher aus Aberglauben. Man nimmt sich zwar alle zwei Jahre vor, es anders zu machen, endet aber immer wieder beim gleichen Muster. In diesem Muster tippt man fast immer gegen die Mannschaft, die man eigentlich am besten findet (Rumänien), in der Hoffnung darauf, dass sie genau deshalb gewinnt. Man bezahlt sozusagen die eigene Mannschaft dafür, dass sie statt einem selber gewinnt.
Man sucht sich eine Mannschaft aus, ordnet ihr bestimmte Eigenschaften (z.B.: genial, launisch, faul, unbeherrscht) zu, die einem lieb sind, und lässt sie dann für sich spielen. Die Mannschaft kann dabei auch Mist machen – das steigert sogar die Attraktion – es wäre allerdings unklug, sich eine Mannschaft auszusuchen, die schon in der Vorrunde rausfliegt. Denn wenn die Mannschaft, für die man sich entschieden hatte, rausgeflogen ist, kann man den Rest des Turniers nicht mehr richtig genießen. Das ging mir jedenfalls in den letzten sechs Jahren, in denen Rumänien mich auf dem Spielfeld vertrat, immer so und wird wohl auch diesmal so sein.
Weil man weiß, dass man immer falsch liegt, gibt man außenseiterische Tipps ab, die gewöhnlich so außenseiterisch sind, dass sie nie eintreffen. Oder eben zu wenig außenseiterisch. Blöderweise lässt sich das alles nicht ins Kalkül ziehen. Es gibt allerdings eine andere Regel, die immer eintrifft: Je mehr Geld man ausgibt, desto besser wird die EM. Seitdem ich beim Fußball wette, sind die EMs ganz hervorragend! Das ist Tatsache! Jede EM wird schöner als die vorhergehende.
Seltsam ist auch, wie sehr sich das alles gleicht, obgleich so viel passiert ist: Die meisten Mannschaften spielen, wie sie immer gespielt haben, nur ein bisschen schlechter oder besser. Wenn man die letzten zwei Jahre nur geschlafen hätte, hätte man vermutlich besser getippt. Wer vor sechs Jahren nach einem Rumänienspiel eingeschlafen und am Montag wieder aufgewacht wäre, hätte es wohl nicht bemerkt. Schon vor sechs Jahren wurde Hagis Genialität bejubelt und seine Altersfaulheit beklagt. Drei Dinge haben sich aber doch verändert: Der Rasen ist mittlerweile gestreift, die virtuelle ZDF-Abseitslinie erfunden, und die Sanitäter tragen (Blau-)Helme.
DETLEF KUHLBRODT
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