piwik no script img

kikkerballenEgal für wen, egal für was – wir skandieren gern

J. B. Kerner ist nicht schwul!

Also ich bin kein RICHTIGER Fan. Das heißt, ich sage nicht „wir“ wenn ich „die“ meine, ich zerknautsche mein Gesicht auch nicht in Sorgenfalten, wenn das von mir favorisierte Team verliert. Allerdings, bei E- und WMs überrasche ich mich schon mal alleine beim Fußballgucken, und manchmal schreie ich so laut: „Schieß!!!“, oder, noch fachmännischer: „Da steht doch keiner!!!“, dass ich mich selbst erschrecke.

Am liebsten gucke ich aber mit meinem besten Freund, dessen Sorgenfalten, wenn sein Team verliert, ihn immer von einem hübschen, babyglatten Jüngling in ein altes, runzliges Murmeltier verwandeln. Meist sagt er nichts während des Spiels, züchtet nur die Falten, und in der Analyse mit einem der klitzekleinen Vokuhila-Ex-Fußballer ruft er manchmal unvermittelt: „Satan!“ Das soll heißen: „Manno, ist der scheiße!“, oder so etwas Ähnliches, glaube ich. Er hasst alle Moderatoren und Kommentatoren, aber ich habe noch keinen Fußballfan erlebt, der das nicht tut.

Wir finden, dass Poschi der einzige ist, der geht, und zwar weil er (mit der Fantasie der Verzweiflung) an Robert Redford erinnert. Johannes Baptist Kerner geht natürlich nicht, obwohl ich sagen muss, dass er bei dem schönen Spiel Jugos gegen Slowenien sehr angenehm die Klappe gehalten hat. Aber ständig dieser blöde Witz mit dem frühen Duschen gehen, bei jeder gelben Karte, das ist nicht witzig, Johannes, das deutet auf latente Homosexualität hin. Ich weiß jedoch aus erster Hand, dass Johannes Baptist mal auf eine Freundin von mir scharf war. Darum habe ich ja auch „latent“ geschrieben.

Beim Spiel der Belgier gegen die Italiener war mein Freund so aufgeregt, dass er mit seinen hektischen Bewegungen fast die Schachtel Leonidas runtergeschmissen hätte, die wir zur Feier des Tages besorgt haben. Wir knabbern immer diese belgischen Kekse, weil mein Freund und sein Mitbewohner als einzige Nichtbelgier auf der Welt für Belgien sind – mein Freund wegen der Schalker in der Mannschaft, sein Mitbewohner, weil es einfacher ist, meinen Freund fußballmäßig nicht zu opponieren, wenn man mit ihm zusammen wohnt.

Und bei diesem Spiel redet mein bester Freund sogar ziemlich viel, ruft zum Beispiel: „Alles Tunten!“, wenn einer der langhaarigen, dreitagebärtigen, dunkeläugigen Beaus seine Frisur unter das Stirnband zurückwurstelt, was um so pikanter ist, weil mein Freund und sein Mitbewohner und Lebensgefährte ebenfalls Tunten sind (das gibt es). Er verdreht die Augen und stöhnt genervt, wenn ein italienischer Spieler sich nach einer Torchance bekreuzigt. Und er skandiert spontan Ausgedachtes oder etwas aus seinem Schalker Skandierschatz: „Wir sind die schönsten Jungs aus dem Ruhrgebiet“ nach der Melodie von „Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut“.

Wir beide sind große Skandier-Fans und haben uns lange Gedanken gemacht, was man bei den mehrsprachigen EMs am sinnvollsten skandieren müsste. Eigentlich natürlich etwas in Esperanto, das geht aber nicht. Das „Aller le bleu!“ der Franzosen finden wir blöd, wie die immer angeben müssen mit ihrem Französisch, olala, iesch `abe miesch auf dem Rasön drekiesch gemachte. Die meisten Fans rufen einfach die Namen ihrer Spieler. Das ist ziemlich profan. Ich bin dafür, bei W- und EMs prinzipiell auf Englisch zu skandieren, da machen die doofen Franzosen wieder nicht mit, aber sollen sie doch! Olala, bien iesch wohl zu fein für Ongliesch! Dabei singen die Inselaffen doch so schön, über Freiheit, und dass sie keine Sklaven mehr sein wollen und so weiter. Mir geht immer richtig das Herz auf. Ich habe mir auch schon eine Flasche Pimms No 1 für heute Abend bereitgestellt, jolly good with Ginger Ale and cucumber.

Der beste Freund will lieber alle Sprachen lernen, und behauptet, er verstünde schon die Jugoslawen („Plavi! Plavi!“ heißt angeblich „Blau! Blau!“) und die Tschechen: „Tschekie do to ho!“, fantasiert er, heiße wahrscheinlich „Noch ein Tor!“. Er kennt es allerdings nur aus dem Eishockey, und darum könnte es auch so etwas heißen wie „Hol den Puck!“. JENNI ZYLKA

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen