karbid und tristesse von FRANK SCHÄFER:
Ich habe Trostlosigkeit geschmeckt, gerochen, gesehen, ich bin der idealisierten Tristesse, und das ist ja mehr als die reale, das ist ja die Tristesse an sich, teilhaftig geworden. Und zwar bei einem Konzert der lokalen Hardrock-Cover-Gruppe Karbid im kleinen Jugendzentrum B 58. Die armen Luder taten ja ihr Bestes, aber auch das reicht nicht hin und nicht her, wenn nur fünfzehn andere Modernisierungsverlierer da sind – fünf davon gehören der Vorband an –, und die mit dem Rücken zur Bühne stehen, um ihre ungeteilte Aufmerksamkeit dem zugegeben gut gekühlten Beck’s zu schenken.
Vielleicht erinnert mich das einfach zu sehr an meine letzte Lesung in Berlin, für die der Verlag auch eine Lokalität „klargemacht“ hat, die mit vierhundert Menschen nach was ausgesehen hätte, und „was“ meint hier immer noch nicht rappelvoll, sondern so halbwegs gefüllt, mit fünfzehn Zuhörern aber eher an ein Treffen der Anonymen Alkoholiker gemahnte. Und vielleicht hätte die Band auch die Menschen an der Theke bitten sollen, mit ihren Hockern einen kleinen Halbkreis vor der Bühne zu bilden, denn zwischen den Stücken wäre wohl genug Gelegenheit gewesen, über dieses und jenes zu sprechen. Der Frontman zum Beispiel hätte einiges zur Erklärung des Bandnamens erwähnen können, um erst einmal Hemmschwellen abzubauen, die so viele Menschen haben, wenn sie über ihre Gefühle sprechen sollen, zumal in Gesellschaft.
Ich erinnere mich, dass vor Zeiten mein Vater Karbid in Form eines Granulats besorgte, wenn ein Maulwurf im Garten sein Unwesen trieb, und das war für ein Grundschulkind schon ein zwischen Aufregung und Unverständnis changierendes Schauspiel. Ein möglichst frischer Maulwurfshügel wurde angegraben, die kleinen Karbidsteinchen reingestreut, vorsichtig etwas Wasser aus einer Gießkanne drübergegossen. Und sehet und staunet, Gemeinde, da fing die Scheiße an zu brennen – mit viel Geräucher und Gestänker! Seltsam, das hatte man doch eben in WUK (Welt- und Umweltkunde) noch genau andersrum gelernt: Wasser habe Feuer gefälligst zu löschen!
Aber meine bestürzten, um Aufklärung heischenden Nachfragen blieben erfolglos. Schulterzucken und „is eben so!“, mehr an Erläuterung war nicht herauszuholen aus einem Mann, der beim Essen und bei der Arbeit nicht viele Worte machte und mochte. Nun, die Wirkung dieses physikalischen Mirakels, das man sich eigentlich auch gut als „Gimmick“ der Zeitschrift Yps hätte vorstellen können („Das bengalesische Zauberfeuer“), leuchtete so ziemlich ein. Der Rauch war giftig, deshalb warf man sogleich zwei, drei Schippen Mutterbodens drauf, auf dass er sich da unten, in dem weitläufigen Gebäu des possierlichen, aber ernteschädigenden Subterraners ausbreite und ihn letal umnebele, um nicht zu sagen: vergase. Und wenn dieser kleine drollige Kerl sich zu retten versuchte, sich nach oben grub an die frische Luft, dann stand da bereits mein Vater. Und der hatteeine Schaufel … Ich sprach kein Wort mehr mit ihm. Einen ganzen Samstagabend lang.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen