kabolzschüsse: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart
Juggern
Die Blutspuren sind beseitigt. Von den martialischen Kämpfen um einen Totenkopf ist nichts mehr zu sehen in der Senke der Hasenheide. Doch die nächste Schlacht ist so gewiss wie die kommenden Neuköllner Maientage am selben Ort. Denn die Jugger sind im Aufwind. Was vor 15 Jahren noch Film war, ist Wirklichkeit geworden. Mehr als 20 Mitglieder spielen mit im Berliner Jugger e. V., vier Teams in der Stadt, insgesamt etwa genauso viele in der Restrepublik, Bayern eingeschlossen.
Dabei sehen Jugger so aus, als würden sie auf keiner Antifa- oder Besetzer-Demo in Berlin fehlen und das Kottbusser Tor ihr Lieblingstreff sein. Tarnhosen – schwarz oder gescheckt – und springerstiefelartiger Ersatz unterhalb der Körpermitte, manchmal auch ein karierter Rock. Oberhalb wird ein T-Shirt oder die nackte Haut zu Felde getragen. Auf dem Kopf tut es ein Tuch oder Wasserstoffblond. Es gibt auch solche im Leder- oder Pelzwams, die einen auf der grünen Wiese am Spielfeldrand neben dem Bollerwagen mit Proviant ungefähr so amüsieren wie Fred Feuerstein und Familie im Fernsehen.
Aber mit Zeichentrick hat die Realität der Jugger natürlich überhaupt nichts zu tun. Inspiration und Lebenselexier ihres Spiels zugleich ist „The Jugger“, der Film, ein drittklassiger, rückwärts gewandter Science-Fiction-Streifen aus der Hollywood-Zeitmaschine. Das „Blut der Helden“ im Untertitel klebt bei den Juggern im sommerlichen Park erdbeerrot auf der verschwitzten Haut. Sich 300 Steinschläge lang in den Endspielen um einen Schädel kloppen, um ihn auf ein so genanntes Mal abzulegen, bringt auch beinharte Jungs zum Transpirieren. Obwohl Verausgabung nicht das Ziel ist. Juggern ist Kult.
So wie zum tausendsten Mal die „Rocky Horror Picture Show“ gucken und Reiskörner werfen. Oder wie neuerdings erst Alex Garlands Roman „The Beach“ lesen, dann die Verfilmung mit Leonardo di Caprio ansehen, um sich schließlich fürs Inselduell bei Sat 1 zu bewerben. Abgesehen davon, dass sich kein Jugger jemals mit derartigen Anhängern vergleichen würde. Dann schon eher mit den Feuersteins oder der Freak Show. Oder pangalaktischen Außerirdischen. Denn ihren tatsächlichen Treffpunkt haben sie in der c-base, einer „abgestürzten Raumstation unter Berlin-Mitte“, in der sich die studentischen und arbeitslosen Computerfreaks einst in „Schlafkammern“ in den Zeitschlaf begaben und erst wieder mit dem Juggern an die Erdoberfläche zurückkehrten.
Seit Gründung ihres Vereins vor zwei Jahren ist es eine Art Rückkehr der Jedi-Ritter, die ausgerüstet mit Pompfen, wie sie ihre Waffen nennen, vom Mauerpark bis zur Hasenheide die Stadt partiell erobern. Selbst Neuköllner Kampfhundebetreiber entdeckten ein Wochenende lang ihr Herz für Jugger und hielten ihre Hunde an der Leine.
Manche entdeckten Ähnlichkeiten mit dem Brennball aus der Schule bei dieser dritten inoffiziellen Meisterschaft, die die Mannen von Sackwut gewannen. Andere fanden Übereinstimmungen mit klassischem Football. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen und in der Steinzeit. Und Johannes von Jena von Jugger e. V. sagt: „Das Tolle daran ist, dass man alles rauslassen kann, was man als Kind immer tun wollte. Man prügelt sich, man schlägt sich, man jagt sich, ohne sich zu verletzen. Alles ist abhängig von der Fairness der Spieler.“ Weshalb Juggern auch weniger dynamischer Mannschaftssport, sondern vielmehr eine Art Performance ist.
Zu den weiteren Regeln und Nebenwirkungen fragen Sie bitte das Internet unter www.jugger.de. PETRA WELZEL
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