kabinenpredigt : Gedankenboykott
„Noch 137 Tage bis Peking“. Auch am Montag läuft auf der Homepage des Berliner Olympiastützpunktes unverdrossen der Countdown. Unter der Rubrik „Neues“ war kein Wort zu finden über die derzeit breit geführte Debatte, ob man die Olympischen Spiele aufgrund der Unruhen und Menschenrechtsverletzungen in Tibet boykottieren soll.
Berlins potenzielle Olympioniken scheinen sich dieser Diskussion ebenfalls nicht stellen zu wollen. Die Schwimmerin Britta Steffen, der Zehnkämpfer André Niklaus sowie der Trainer der Wasserballnationalmannschaft Hagen Stamm erklärten kategorisch, ein Boykott sei sinnlos. Komme, was wolle, wir fahren nach Peking. So könnte man überspitzt die Haltung der Sportfunktionäre und Athleten zusammenfassen.
Dass man sich nicht einmal eine Neubewertung dieser Frage vorbehält – je nach der Entwicklung der kommenden Wochen und Monate in China – spricht für die Engstirnigkeit und Oberflächlichkeit, mit der man der Problematik begegnet.
Es ist verständlich, dass die Sportler nicht für die Fehler der Politik oder des Internationalen Olympischen Komitees büßen wollen. Hagen Stamm beklagte etwa, es sei falsch gewesen, China überhaupt die Ausrichtung der Spiele zu übertragen. Eine wohlfeile Kritik. Nur damals, als diese Entscheidung getroffen wurde, tat kein Sportler seinen Mund auf.
Politischer Protest dürfe nicht auf dem Rücken der Sportler ausgetragen werden, so fasste Stamm seine Position zusammen. Aber darf sich ein Unrechtsregime auf dem Rücken der Sportler profilieren?
Gerade weil der Sport im Kampf um staatliche Fördergelder seine gesellschaftspolitische Bedeutung so hervorhebt, müssen sich seine Vertreter von ihrer eindimensionalen sportzentrierten Denkweise lösen. Als einer der ganz wenigen hat dies der Berliner Hockeynationaltorwart Ulrich Bubolz getan. Er sagte: „Sportlich ist Olympia mein großer Traum, aber ich würde ihn mir nicht um jeden Preis erfüllen wollen.“
Die Bestimmung einer solchen Schmerzgrenze wäre allgemein sehr sinnvoll. Denn nur so könnte man politischen Druck auf China ausüben. Und darüber sollten durchaus auch Sportler nachdenken. Stattdessen scheinen die meisten der Auffassung zu sein, ihr Trimm-dich-Pfad nach Peking gehöre privatrechtlich geschützt.
JOHANNES KOPP