kabinenpredigt : Angst ist Energie
Welche Ziele soll sich ein Meister zu Saisonbeginn setzen? Nach oben kann er sich nicht mehr strecken und nach unten darf er sich tunlichst auch nicht bewegen.
Für den deutschen Eishockeymeister, die Eisbären Berlin, ist die beklemmende Lage nicht neu. Bereits letzte Saison ging man als Titelverteidiger in die Spielrunde. Damals kündigte Trainer Pierre Pagé brav an, was sowieso alle von ihm erwarteten: „Wir wollen wieder Meister werden.“
Vor dieser Doppelrunde aber, die am Freitag beginnt, fiel Pagé aus der Rolle. Er redet seine Mannschaft schlecht. Allein schon an den Titel zu denken, hält er derzeit für arrogant. Er erklärt: Das junge Team sei teilweise disziplinlos und unproduktiv. Den Neuzugängen fehle es an Schnelligkeit. Man benötige Verstärkung. Der Kader sei nicht für die Saison präpariert.
Letztes Jahr war die Situation ähnlich. Nur bemäkelte damals die Presse die fehlende Verstärkung. Dies verlieh der späteren Meisterschaft noch zusätzlichen Glanz. Die Eisbären waren mit der gewagten Strategie, sich erst im Verlauf der Saison zu verstärken, erfolgreich. Dieses Jahr könnte das auch funktionieren. Wo bleibt aber der Glanz, wenn zuvor niemand vernehmbar gezweifelt hat?
Da muss der Trainer eben selbst zum Schwarzmaler werden. Doch vielleicht steckt noch etwas anderes hinter Pagés beängstigender Analyse. Der Kanadier hat einmal gesagt: „Angst ist Energie. Angst motiviert.“ Sein Bangemachen vor dem Saisonstart kann man insofern auch als geballte Energiezufuhr für das Team betrachten. JOHANNES KOPP