kabinenpredigt : Zeremonieller Zinnober
Gewiss war es ein feierlicher Moment, als letzte Woche in einem Neuköllner Hotel der Gewichtheber René Hoch zum Rednerpult schritt. Und wahrscheinlich räusperte sich das Publikum reihum noch einmal, um für den anschließenden weihevollen Vortrag die Stille wahren zu können. Denn Hoch verlas im Namen von 73 Berliner Sportlerinnen und Sportlern, die als Team Peking der Öffentlichkeit vorgestellt wurden, eine Selbstverpflichtungserklärung.
Darin hat er, vereinfacht gesagt, folgendes verkündet: Doping ist Betrug. Es verstößt gegen das Gebot der Fairness. Und das finden wir unschicklich. Deshalb werden wir bei Olympia 2008 in China ganz ehrlich sein.
Eine solche Erklärung wurde bislang noch nie von Berlins potenziellen Olympioniken abgegeben. Die Sportkollegen von Hoch haben vermutlich mit unbeweglichem Gesichtsausdruck nach vorn gestarrt, jeden Blickkontakt mit dem Nachbarn meidend, um sich nicht durch ein Lächeln oder ein zweideutiges Mienenspiel irgendwie verdächtig zu machen.
Doch wozu dieser zeremonielle Zinnober? Dass das im Kampf gegen Doping hilft, glauben allenfalls einfältige Gemüter. Das öffentliche Berliner Sportlergelübde offenbart vielmehr, wie hilflos man der Problematik gegenübersteht. Letztlich geht es nur mit Redlichkeit des einzelnen Sportlers. Denn die Antidopingmaßnahmen haben bislang kaum abschreckende Wirkung. Immerhin verpflichten sich die Berliner in ihrer Erklärung dazu, im Falle eines eigenen Dopingvergehens erhaltene öffentliche Fördergelder für die Olympischen Spiele in Peking zurückzuzahlen. Allein auf den moralischen Druck soll sich also keiner verlassen müssen.
Doch wie wenig diese selbst auferlegte finanzielle Sanktion wirkt, hat die diesjährige Tour de France gezeigt. Auch hier verpflichteten sich erstmals alle Fahrer dazu, bei einer positiven Dopingprobe zur Strafe ein Jahresgehalt zu entrichten. Allein fünf Profis nahmen dies wohl billigend in Kauf. Sie flogen wegen Dopings auf. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen.
JOHANNES KOPP