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juttas neue weltDer E-Bock von Frankfurt

Am siebten Tag erschuf der Messegott die Müdigkeit und legte sich auf den Buchrücken.

 Ich tat es ihm gleich, nahm am Ende der Frankfurter Leseverdammnis schnell ein allerjüngstes Gericht zu mir, haute mich danach ins Bett und träumte die bibliophile Erschöpfungsgeschichte: Gejagt von einer Horde Leseratten hetzte ich über Rolltreppen und Laufbänder (links gehen, rechts stehen!) durch die heiligen Messehallen und floh schließlich in den Stand des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, wo ich von einem aus dem Regal fallenden Hardcover-E-Book erschlagen wurde.

 Ich erwachte schweißgebadet und wartete, dass das Buchfieber wieder sank. Im meinem Kopf schwirrte es nur so von Schriftzeichen, die sich – begleitet von hymnischen Gesängen – immer wieder zu dem einem Wort zusammensetzten: „E-Book“. In diesem Reigen wurde keine orthografische Variation ausgelassen: „eBook“, „E-Book“, „ebook“, „ebooK“, „e-bOok“.

 Selbst ein E-Bock hatte sich sich unter die Buchstabensuppe gemischt. Er mähte etwas von „revolutionärer als Gutenberg“ und „totaler digitaler Lektüre“ und befahl mir dann, ihm zu folgen. Wir fuhren im Taxi zum Frankfurter Messeturm und nahmen dort den beschworenen Aufzug hinauf in eine neue Ära.

 Im neuneinhalbten Stock stiegen wir aus. Ich stellte erschrocken fest, dass wir bei der Festgala zur Verleihung des ersten E-Book-Awards angekommen waren. Hatte diese Veranstaltung nicht erst vor einigen Tagen stattgefunden? Und ist sie unter www.iebaf.org nicht längst live ins Netz übertragen worden? Sollte das Gleiche tatsächlich ewig wiederkehren?

 Der E-Bock band sich eine Krawatte um, während ich überlegte, wie ich diesem Inferno der Abendkleider entkommen konnte. Ich beschloss, einfach aufzuwachen. Mir war immer noch heiß, und ich wickelte mir die Waden mit nassen Handtüchern. Womit ich mir auf der Gala noch doofer vorkam. Irgendwie und unfreiwillig musste ich dahin zurückgekehrt sein. Ich versteckte meine gewindelten Beine unter einem Tisch und verfolgte mit schweren Augenlidern die Preisverleihung.

 Besonders irritierend fand ich, dass eine gewisse Zadie 10.000 Dollar für „den besten zuerst gedruckten und in E-Book-Form umgewandelten Belletristik-Titel“ erhielt. Ein echter Kategorien-Sprenger, dachte ich. Plötzlich wurde auch mein Name aufgerufen. Ich sollte den 27. Trostpreis für „die beste im fünften Anlauf fertiggestellte, niemals in einem Verlag erschienene und direkt als E-Book veröffentlichte Erzählung“ bekommen.

 Da ich aber unmöglich mit meinen Wadenwickeln auf die Bühne gehen konnte, erwachte ich lieber. Das Buchfieber war etwas gesunken, ich befreite meine Beine und atmete auf. Doch kurz darauf merkte ich, dass ich noch ein letztes Mal an den Ort des elektronischen Ungeschehens zurückkehren musste. Im „Electronic Media Centre“ traf ich den E-Bock wieder, der mir diesmal die E-Book-Edition von Max Frischs „Andorra“ andrehen wollte. „Stell dir vor, du wärst erst der elfte Käufer überhaupt – psssssst, genau“, zischte er mir zu.

 Völlig eingeschüchtert erstand ich ein Exemplar und fragte den E-Bock, womit ich das denn nun lesen könne. Daraufhin verpixelte er sich wortlos und ein Vertreter von BOL installierte sich vor mir. Er hielt mir ein Lesegerät unter die Nase. „Ein echter E-Knüller“, versicherte er, „kostet bloß 675 Mark.“

 In der anderen Ecke der Halle lehnte Marcel Reich-Ranicki an einer Buchstütze und pries „Mein Leben“ als E-Book. Mein Leben als E-Book? Kurz vor dem Aufwachen war mir klar: Alle Literaturpäpste und Bestsellerautoren dieser Erde werden als E-Book wiedergeboren. Die elektronische Auferstehung ist nämlich der nächste Streich in der unendlichen Geschichte der Medienrevolutionen – und Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2097.

JUTTA HEESS

pechlucky@gmx.de

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