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juttas neue weltEin ganz privates Plätzchen

Eng ist es geworden im kuscheligen Internest. Und wer erst heute auf die Idee kommt, persönlich im Web aufzutreten, guckt enttäuscht in die Bildschirmröhre. Wer jetzt keine Homepage hat, baut sich keine mehr, hätte Rilke geschlussfolgert und verdichtet. Klemmt man nämlich seinen eigenen Namen zwischen www. und .de, so lautet die desillusionierende Antwort in der Regel: „Die Domain ist leider schon vergeben.“

Angesichts der unzähligen Netzhocker müssen Onlineauftritte oft umständlich mit www.jutta-die-viertelvorzwoelfte.de oder so umschrieben werden. Gegen diese virtuelle Obdachlosigkeit und um wieder mehr Cyberspace zu schaffen, haben sich kürzlich die Mitglieder der Internetselbstverwaltung Icann zum heiteren Suffixwerfen getroffen und sieben neue Top-Level-Domains wie .biz, .coop, .info zugelassen.

Vermutlich ist www.jutta.aero noch zu haben, aber ich bin ja keine Fluggesellschaft und habe außerdem gerade kein Vermögen zum Verpulvern zur Hand. Und überhaupt: Ist diese Domänizierung nicht ein übersteigerter digitaler Narzissmus? Im wahren Leben wohnt ja auch nicht jeder Wilhelm in der Wilhelmstraße und leben nicht alle Wolfgänge am Wolfgangsee.

Doch die Netzbedürfnisse sind eben anders – neue Namen braucht das Cyberland! Und was Icann kann, kann www.inomic.ms schon lange. Hier darf jeder seinen Namenswünschen freien Lauf lassen, denn die Berliner Start-up-Firma „Virtualley“ hat der britischen Kronkolonie Montserrat in der Karibik 24.000 Netzadressen mit der Endung .ms abgeluchst. In Montserrat wird eben gebadet als gesurft. Die Internetuntüchtigkeit der Kolonisten Ihrer Majestät nutzt Virtualley, um die verwaisten Domains nach Belieben zu vermieten – für 10 Euro erwirbt man die einjährige Herrschaft über eine frei wählbare .ms-Internetadresse. Und zwei Wochen darf man sogar völlig umsonst regieren.

Ein verlockendes Angebot, das ich schleunigst nutzte, um eine Einladungswebsite zum adventlichen Plätzchenbacken zu arrangieren. Ich buchte www.jutta-will-kek.se.ms und begann, den Inomic-Anweisungen folgend, meine eigene Homepage zu basteln. Für den Hintergrund wählte ich ein orangefarbenes 70er-Jahre-Tapetenmuster – Menschen mit mehr Humor können auch eine Comicseite mit quietschgelben Enten oder Ski fahrenden Weihnachtsmännern verantworten. Danach gab ich den Text ein – „Herzliche Einladung zum Plätzchenbacken am 5. Dezember um 20 Uhr – Ausstechförmchen bitte selbst mitbringen“ – und meine Realadresse. Bevor ich meine Privatpage frei schaltete, fügte ich noch einen Besucherzähler und ein Gästebuch hinzu. Den Link schickte ich schließlich an drei auserwählte Plätzchenfreunde, die sich über meine ganz ohne HTML-Mühsale heimgewerkelte Internetpräsenz wunderten.

Ich selbst hatte sie schon bald vergessen. Erst am Morgen des Backtages fiel mir meine vorweihnachtliche Homepage wieder ein. Nur so zum Spaß stocherte ich noch mal die Adresse in den Browser und erschrak: Der Zähler zeigte eine dicke „14“ an! Ich hatte doch bloß drei Leute eingeladen! Wer trieb sich da bloß auf meiner Seite rum? Aus Angst vor einer bevorstehenden Plätzchenmassenveranstaltung handelte ich schnell und schickte folgende E-Mail an meine Gäste: „Die Seite www.jutta-will-kek.se.ms weist unnatürlich viele Pageviews auf. Bevor es heute Abend in unserer Küche zu einer wilden Gebäckstecherei kommt, treffen wir uns lieber auf ein Getränk im Hafeneck.“ So viel zum Glück, höchstpersönlich und namentlich im Internet aufzutreten. Ich finde ja: Anonym ist besser! pechlucky@gmx.de

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