juttas neue welt: Haste Töne?
Es gibt Momente, da ist es vollkommen still in unserem Büro. Nur wenn man ganz, ganz genau hinlauscht, kann man ein leises Knistern erahnen, das aus unseren rauchenden Köpfen kommt. Aber es ist fast unhörbar.
Dieser Ausnahmezustand der himmlischen Ruhe wird allerdings meistens nach einigen Minuten auf unsanfte Weise beendet. Und zwar genau in dem Augenblick, wenn der Kollege mit offenen Armen eine neue E-Mail empfängt. „Das treue Volk will euch ein Denkmal setzen“, verspricht eine dröhnende Männerstimme aus dem Off. „Ja, das soll es tun“, tiriliert er und öffnet geschwind klickend Liebes- und andere elektronische Briefe. Der Mitarbeiter hat nämlich seinen E-Mail-Eingang akustisch aufgedonnert – wenn sich dagegen mein Postfach füllt, erklingt bloß das unspektakuläre, von Microsoft mitgelieferte „Ringin“. Auch beim Runterfahren des Computers hat der Kollege ein lustiges „It's done, done, done“ installiert, während bei mir das langweilige Windows-Abmeldegebimmel das Trommelfell belästigt.
Eines Tages aber wollte auch ich tonangebend sein und beschloss: Jetzt gibt’s von mir was auf die Ohren! In einer stillen Abendstunde rüstete ich mich für den großen Lauschangriff und durchforstete das Netz nach brauchbaren Klängen. Schließlich musste ich den Kollegen in Schall und Rauch übertreffen. Als Geräuschesammlerin war ich bereits nach kurzer Zeit sehr zufrieden mit mir – fand ich doch unter www.evol.org den geeigneten Soundfile, der mir eingegangene E-Mails anläuten sollte. Und zwar die Simpsons-Melodie, gespielt – oder besser geschrubbt – von Sonic Youth.
Allerdings erschien mir ein fast zweiminütiges Gitarreninferno etwas übertrieben für eine läppische Mail-Niederkunft, so dass ich den Song mit Hilfe der Software, die unter www.acoustica.com angeboten wird, zurechtstutzte. Aber dabei blieb es nicht. Wer einmal angefangen hat, seinen Computer zu vertonen und in einen Klangkörper zu verwandeln, der findet so schnell kein Ende mehr.
Ich belegte im Laufe des Abends sämtliche Funktionen mit einem Geräusch. Der Mausklick wurde zum Kichern, beim Schließen eines Fensters brüllte ein Löwe, und wenn ich den Papierkorb leerte, sang Sesamstraßen-Star Oskar „Ich mag Müll“.
Ganz besonders beeindruckte mich mein Rechner beim Hochfahren: „Well, my little pretty, I can cause accidents, too!“, drohte mir die Hexe aus dem Film „The Wizard of Oz“, die ich unter www.moviesounds.com aufgespürt hatte. Am nächsten Tag erfreute ich mich ausgiebig an den Lautmalereien meines Computers – es geht doch nichts über einen wohlbeschallten Arbeitsplatz!
Nur mein Kollege war seitdem irgendwie komisch drauf. Er war so still geworden. Und nach einigen Tagen trug er Wattebäusche in und Kopfhörer auf den Ohren. Wenn er ausnahmsweise mal etwas von sich gab, murmelte er bloß unverständliche Halbsätze wie „die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Geräusche“ oder so. Ich konnte ihn nämlich meistens nicht richtig verstehen. Doch dafür redete ja mein Rechner laut und deutlich mit mir.
Eines Tages aber passierte etwas Seltsames: Ich ergötzte mich gerade an meinem Abmeldeklang und freute mich bei einem genießerischen „Hmmm, beer“ – ein Gastbeitrag von Homer Simpson – auf den Feierabend, da drang plötzlich eine bekannte Stimme an mein Ohr: Es war Robbie Williams, der aus den Lautsprechern des Kollegen-PCs ununterbrochen „I will survive“ sang. Ich sah ihm in die Augen – dem Kollegen natürlich, Robbie Williams war ja leider nicht im Raum. Und da fiel bei mir der Groschen, der leise über den Boden kullerte und mit einem sanften „Pling“ vor meinen Füßen liegen blieb. Der Kollege machte die Musik aus. Und der Rest ist Schweigen.
JUTTA HEESS
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