juttas neue welt: Deutsch für Wegläufer
Es brechen harte Zeiten an. Besonders für Menschen, die schreiben, sprechen oder nachdenken wollen. Denn unsere Politiker rufen fast einstimmig „Anglizismen raus!“ – der Berliner Innenälteste Eckart Werthebach fordert sogar ein Gesetz, das die deutsche Sprache schützen und schön sauber halten soll. Ich würde jetzt aber mal gerne von ihm wissen: Was passiert eigentlich, wenn ich gegen dieses Sprachschutzgesetz verstoße und ein englisches Wort in einen deutschen Text einschleuse? Wird mir daraufhin öffentlich das Wort abgeschnitten? Oder werde ich gar zu fünf Jahren Sprachlosigkeit verurteilt? Ohne Bewährung? Bevor nicht klar ist, was mir im Fall eines Sprachverstoßes blüht, bemühe ich mich lieber, auf Anglizismen zu verzichten. Schweren Herzens.
Denn besonders als Zwischennetzkolumnistin ist das gar nicht so einfach. (Wobei ich künftig sicherheitshalber Zwischennetzsäulerin sagen möchte – wer weiß, ob rückwirkend nicht auch lateinische Wörter in den Bann der neuen Gesetzgebung fallen.) Zur Übung werde ich jetzt erst einmal meinem Tagebuch einen Text anvertrauen, der von englischen Spuren befreit ist. Was – um es vorwegzunehmen – ein bisschen so klingt, wie Deutsch für Wegläufer. Oder als brauchte ich eine Sprechstundenhilfe:
„Liebes Tagebuch, heute Morgen zog ich mir nach dem Duschen eine Goldgräberhose, ein T-Hemd und einen Überzieher an, frühstückte eine Sandhexe mit Käse und legte eine kompakte Scheibe in meinen Elendsviertelpuster ein. Danach stiefelte ich meinen Rechner und glitt ein bisschen durchs Zwischennetz. Unterdessen wartete ich ungeduldig, bis die Runterladung einer Geräuschdatei abgeschlossen war, und versandte einige elektronische Briefe. Da ich ja ab sofort keine englischen Wörter mehr gebrauchen darf, tippte ich de.altavista.com/babelfish in meinen Durchstöberer – dort übersetzt man mir alles, was ich schreiben will, ins Deutsche. Nur ist das Ergebnis manchmal seltsam. Außerdem besuchte ich die Heimseite des Vereins für deutsche Sprache unter www.vds-ev.de, der gehörig Fürbewegung für ein schönes Deutsch macht und vor ungezügeltem Denglisch warnt. Stell dir vor, liebes Tagebuch, der Gleiter wird sogar aufgefordert, den schlimmsten Anglizismus einzuschicken, um die Liste der verhassten Wörter zu verlängern.
Da ich ja gerade englische Wörter bubkottiere, konnte ich an dieser Veranstaltung nicht teilnehmen. Dafür schaute ich mir unter www.bundesrat.de ein Foto von Wortwächter Werthebach an – und nahm mir noch fester vor, nicht gegen sein Gesetz zu verstoßen.
Ein Zwischennetzsäulenthema (sicher ist sicher!) wollte mir mal wieder nicht einfallen, irgendwie hatte ich ein Schwarzaus. Also fuhr ich den Rechner runter und schaute eine Sprechschau im Fernsehen an. Abends machte ich bei der Korbball-Körperertüchtigung mit und aß später mit der Mitbewohnerin in Fett heiß gemachte Kartoffelstängelchen mit Fanghoch. In der „heute-zeitung“ erwischte ich Wolf von Lojewski dabei, wie er „Washington“ sagte, und überlegte, ob ich ihn dafür anzeigen müsse. Dann rief Steffen an, der gerade seine Aufzeilensucht mit Alkohol bekämpft – wir trafen uns deshalb in der Bar an der Ecke und tranken zwei Hahnschwänze. Kurz vor dem Einschlafen las ich noch ein paar Gedichte von Walther von der Vogelweide – zur Vorbereitung, denn wer weiß, was den sprachkritischen Gesetzgebern noch so alles einfällt.“ JUTTA HEESS
Anm. d. Red.: In diesem Text hat unsere Autorin aller Gefahr zum Trotz ein kleines englisches Wort versteckt. Haben Sie es schon gefunden?
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