jesus-tag: ZUVIEL NÄHE
Man könnte darüber lachen: In einem Vorbereitungstreffen Anfang Mai für den morgen geplanten „Jesus-Tag“ mit den inhaltlichen Schwerpunkten „Finanzen und praktisches Gelingen für den Jesus-Tag“ wurden alle christlichen Helfer dazu aufgefordert, für ein „gutes, warmes, trockenes Wetter“ zu beten. Das Treffen stand unter dem Motto: „Denn mir, dem allmächtigen Gott, gehört alles Silber und Gold.“
Aber die Sache ist nicht zum Lachen. Die „charismatische Bewegung“ in den beiden großen Kirchen gewinnt immer mehr an Einfluss. Ihr religiöser Fundamentalismus ist mittlerweile in den Volkskirchen offenbar so groß, dass eine Abgrenzung von ihnen schwer fällt. Zwar ist der Fundamentalismus auch im Islam und im Judentum gewachsen. Bisher aber war christlicher Fundamentalismus eher eine Erscheinung, die Europäer in den USA ansiedelten und mal belächelten, mal mit Angst beäugten. Nun ist diese Bewegung auch hierzulande im Mainstream angekommen.
Dass die beiden Häupter der Berliner Volkskirchen, Kardinal Sterzinsky und Landesbischof Huber, den Jesus-Tag mit Grußworten willkommen heißen, ist ein Zeichen dafür – und ein schlechtes Omen. Keine Frage, die Organisatoren des Jesus-Tages haben es geschickt angestellt, ihre zweifelhaften theologischen Ansichten bei der Planung des „Jesus-Tages“ so hinter sanften und konsensfähigen Bibelworten zu verstecken, dass eine Unterstützung des christlichen Massen-Events durch die großen Kirchen nur noch schwer zu vermeiden war: Wer findet Jesus denn nicht irgendwie toll?
Doch offenbar sind die beiden Großkirchen in Berlin angesichts immer noch horrender Austrittszahlen und drohender großer Einkommensverluste so in der Defensive, dass sie nicht mehr den Mut aufbringen, die Geister zu scheiden. Zu Gruppen, die gefährliche „Heilungsgottesdienste“ praktizieren, die zum Teil in anderen Religionen die Macht von Dämonen befürchten und die einen moralischen Rigorismus verfolgen, der Abtreibung unter allen Umständen ausschließt – zu solchen Christen sollten die Volkskirchen Distanz halten. Auch wenn es scheinbar nur um Jesus geht. PHILIPP GESSLER
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