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Archiv-Artikel

jenni zylka über Sex & Lügen Herzmuskelkater und andere Krankheiten

Was tun bei Liebeskummer? Putzen, saufen gehen, eine CD aufnehmen? Ein Geschäft daraus machen geht leider nicht

Manchmal liege ich nachts wach und denke darüber nach, dass mein armer kleiner Herzmuskel nie eine Pause bekommt. Eine gruselige Vorstellung. Da habe ich so exorbitant viele Muskeln im Körper, und wenn ich nur ein paar mehr Steroide essen und nur ein bisschen weniger Flüssigkeit zu mir nehmen würde, könnte man sogar einige davon sehen. Aber der arme kleine Herzmuskel wird (hoffentlich) das ganze lange Leben lang schlagen, völlig untrainiert, und keiner merkt es, nur ich manchmal.

Allerdings nicht bei Liebeskummer. Es sei denn, ich hätte mich – ohne es zu wissen – in sämtliche Kontrolleure verliebt, die mich ab und an in der U-Bahn überraschen (starke Herzmuskeltätigkeit) oder in meine Wohnungstür im vierten Stock ohne Fahrstuhl (noch stärkere Herzmuskeltätigkeit).

In Wirklichkeit tut mir etwas ganz anderes weh, wenn der Mann nicht der Richtige ist, weil er denkt, ich sei die Falsche: die Fingerspitzen. In Zeiten großer Gefühlsaufwallungen kann ich manchmal kaum jemandem die Hand geben, und wenn ich mich ans Klavier setze, spiele ich von selbst die Mondscheinsonate. Oder wahlweise die Schicksalsmelodie. Meine Vermutung, woher der Fingerkuppenschmerz kommt: Die Hände vermissen den Hautkontakt zum Vermissten. Phantomschmerzen also.

Im immer noch stets auskunftswilligen und geduldigen Freundeskreis herumgefragt, ergibt sich ein ähnliches Bild: Die meisten definieren ihren Liebeskummer über diverse Körperschmerzen. Es „schnürt ihnen den Brustkorb ein“, nicht wenige können nicht schlafen und keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen, sie klagen daher schnell über Folge-Kopfweh, den so genannten Liebeskummerkater. Und geweint wird natürlich allerorten, bis die Tränendrüse quietscht.

Leider ist es heutzutage unmodern, die Herzschmerz-Tränen in kleinen Kaiser-Nero-Tonfläschchen zu sammeln und damit zum Beispiel Blinde sehend zu machen oder Wunden zu heilen. Sonst würde ich sofort ein Geschäft eröffnen. Wahrscheinlich würde der Verkauf von echter Liebeskummertränenflüssigkeit in diesen komischen Zeiten besser laufen als das Höschenverschickungsbusiness, mit dem ich vor ein paar Jahren ganz groß rauskommen wollte.

Damals erdachten meine Freundin und ich uns körbeweise Baumwoll-Höschen, die wir an unsere mannigfaltigen jungen, alten, dicken und dünnen Mitarbeiterinnen verteilen, nach dem Tragen einschweißen und gegen ein mehr als angemessenes Entgelt an bekloppte Fetischisten versenden wollten. Bekanntermaßen hat die Idee nicht hingehauen, wegen mangelnden Interesses außerhalb Japans.

Trotzdem ist das Wein-Geschäft zu traurig, um es zu betreiben. Schade um die Tränen in der Nacht, my Darling. Stattdessen behaupten echte, medizinische Ratgeber, die „psychische Krankheit Liebeskummer“ sei zum Beispiel durch blinden Aktionismus zu heilen. „Viele Kunstwerke entstanden durch die Triebfeder Liebeskummer. Vielleicht fangen auch Sie an zu malen?“, las ich kürzlich in einer Broschüre über psychosomatische Symptome und ihre Heilungschancen.

Ich bin sicher, dass eine Menge der Bands, deren Tonträger mir so profimusikjournalistenmäßig in die Hände gespielt werden, keinen einzigen anderen Ansporn als Liebeskummer hatten. Dementsprechend klingen auch die Produkte. „Hallo Hannover“, sang gestern eine dieser Gruppen aus lauter nachdenklichen jungen Männern mit latentem Liebesweh auf einer Promo-CD, „ich kann heut nicht kommen.“ Das spricht doch den Herzschmerz in uns allen an. Nicht nur den der HannoveranerInnen.

„Der einzige Tipp“, sagt mein bester Freund, „ist, dass man sich nicht zum Affen machen sollte.“ Damit meint er vermutlich Gruselgeschichten aus der „Rage“-Phase, also durch Wut bedingte Dummheiten, die etwa darin bestehen, jemandem die Autoreifen zu zerstechen, die Anzugärmel zuzunähen (perfide!) oder Sekundenkleber in die Türschlösser zu drücken.

So etwas habe ich noch nie erlebt, nur gelesen oder auf Leinwänden gesehen. Ich habe allerdings schon einige wütende und bekümmerte Frauen putzen sehen, sie scheuerten quasi die Ursache für ihren Kummer mit Wasser und umweltfeindlichen Ätzsäuren aus der Wohnung und dem Herzen. Eine solche Verarbeitung würde mir ganz gut tun und meiner Wohnung erst recht. Ich werde es trotzdem nicht drauf anlegen. Wer weiß, ob mein Herzmuskel so viel Aufregung mitmacht. JENNI ZYLKA

fragen zu sex & lügen?kolumne@taz.de