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jenni zylka über Sex & LügenBirds and Bees

Aufklärungstaktiken für eine Welt ohne Geschwister und Bücher

„Woher kleine Babys kommen? Die liegen morgens mitten im größten Kohlkopf im Garten, ich bin ganz sicher“, sagt der kleine italienische Junge schüchtern. „Quatsch, Babys bringt der Bäcker“, meint sein niedlicher Freund. Der Regisseur Pasolini reiste in den frühen Sechzigern durch Italien und befragte für einen Dokumentarfilm alles um sich herum zum Thema Sex und Moral.

Das ist lange her, und wahrscheinlich haben sogar die beiden zitierten i-Männeken zwischenzeitlich gemerkt, dass nur in Einzelfällen der Bäcker und noch seltener ein Kohlkopf etwas mit menschlicher Vermehrung zu tun hat.

Aber manche lernen’s vermutlich nie. Und manche kommen aufgeklärt zur Welt. Ich kann mich zum Beispiel überhaupt nicht an eine nichtsahnende Zeit erinnern. Hab immer schon alles gewusst. Weiß ja schließlich auch sonst alles. Hab’s nur nicht anwenden können. Trotzdem scheint es mir, als ob ein gewisses Buch ebenfalls eine Rolle gespielt haben könnte: Vorne drauf waren krakelige Zeichnungen von zwei nackten Menschen, mit allem Drum und Dran, Piephahn und so weiter. Drinnen dann genaue Erektionsskizzen und Geschichten, die mit „Mama, was machen du und Papa eigentlich, wenn wir schlafen?“ anfingen, und mit „Jedenfalls nicht fernsehen, mein Kind“ weitergingen.

Bei den meisten Menschen in meinem Alter oder älter scheinen Bücher, dicht gefolgt und teilweise auch überholt von Geschwistern, die größte Bedeutung beim Aufklären gehabt zu haben. Was einem zu denken gibt, denn in modernen Zeiten, in denen laut jammernder Bildungsbürger kein Kind freiwillig mehr als die Playstation-Gebrauchsanweisung liest und in denen laut jammernder Soziologen kein Elternpaar freiwillig mehr als ein einziges Plärrbündel in die Welt setzen mag, müsste es also schlimm bestellt sein. Doch garantiert gibt es schon Aufklärungssoftware, vorne drauf krakelige Zeichnungen, und innen drin anklickbare Gespräche, die mit „Uli, was machen du und dein momentaner Partner eigentlich, wenn wir schlafen?“ anfangen und mit „Jedenfalls nicht Computer spielen, mein Kind“ weitergehen. Die liegt dann im Kinderressort des Multimediashops gleich neben dem „Ich habe zwei Mamas“-Buch.

Denn wenn man die aufzuklärende Person nicht schnellstens versorgt, bleiben ja nur noch das Fernsehen und der Schulhof. Und auf dem Schulhof, das weiß man, kommt das Kind vor lauter Haschrauchen und Jackenzocken leider gar nicht zum Sextalk. Das Fernsehen fühlt sich auch nicht verantwortlich und sendet die schönen Softpornos zu nachtschlafender Zeit, sodass der aufklärungswillige Kurze höchstens mit Glück und einer night out, bei dem verwahrlosten Schulfreund nämlich, dessen allein erziehende Mutti abends in der Kneipe arbeitet – und keiner kümmert sich darum, was die Kleinen so treiben –, an die wirklich interessanten Reiseberichte des Lebens gerät: Emanuelle in Afrika. Davon kann das moderne Kindchen immerhin schon ein wenig zehren, es weiß jetzt, dass manche Frauen im Urlaub gerne Kontakte knüpfen, und dass Französinnen schlanke, grazile Wesen mit durchsichtigen, schwingenden Kleidern sind. Aber was genau passiert, wenn der unsensible Filmschnitt plötzlich Emanuelle und den Tankstellenbesitzer aus Harare oder Emanuelle und die schlanke, grazile Reiseleiterin trennt? Der jahrzehntelange und kontinenteübergreifende Lieblingsvergleich mit den Vögeln und den Bienen hat heute jedenfalls ausgedient. Ich habe ohenhin nie verstanden, wieso man gerade Vögel und Bienen als Beispieltiere nimmt, soviel ich aus dem Biologieunterricht weiß, unterscheidet sich der Akt zwischen Herrn und Frau Wellensittich und Herrn und Frau Honigbiene so eklatant von dem zwischen Herrn und Frau Emanuelle, dass man der neugierigen Blage wahrscheinlich eher noch die Kant’sche Kritik der praktischen Vernunft erklären könnte. Also warum möchte der verklemmte, sich windende Erwachsene das unangenehme Gespräch durch Exkursionen in die Eierlegetaktik oder Bestäubungsvorlieben extra noch in die Länge ziehen? Anstatt einfach auf amtlich rammelnde Kaninchen oder vielleicht sogar Elefanten (anschaulicher!) zu verweisen?

Am besten wäre vielleicht, man schickte den Kindern mit sieben (Mädchen) oder neun (Jungen) einfach kollektiv eine Aufklärungs-SMS, schön voll grafischen Zweideutigkeiten und Buchstabenspielen. Oder ritzt ihnen ein paar Fakten in den Schulschreibtisch. Ach, das gibt es ja schon.

Fragen zu Sex & Lügen? kolumne@taz.de

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