jazzkolumne: Charlie Haden und seine ehrliche Musik
Existenziell politisch
Als seine aktuelle CD „The Art Of The Song“ erschien, wurde offensichtlich, dass für Charlie Haden eine neue Zeit angebrochen war, dass für ihn die bis vor kurzem noch postulierte Notwendigkeit, den Soundtrack zur gesellschaftlichen Veränderung zu spielen, vorbei ist. Sein Quartet West scheint müde geworden. Behäbig schleppt es sich derzeit durch die Lande als Opener der neuen JazzNights-Saison, ruheständlerisch, ja, aber auch unschlagbar geschmackssicher und erfindungsgewandt in der Interpretation der großen Balladen des Jazz. Haden war noch nie gut in der Rolle des MC, seine Ansagen kommen trocken und unerotisch. Wenn er – wie jetzt gerade beim Konzert in Berlin – mit einem Handtuch an der Plexiglasscheibe herumwischt, die ihn von seinem Schlagzeuger Larance Marable trennt, dann ist das schon fast ein Höhepunkt. Es passt zu seinem grob kariertem Hemd, zum Sofa des Möbeldesigners Rolf Benz, der diese Tour sponsert, weniger.
Dabei schien doch alles geregelt – damals. Charlie Haden hatte sein Studium abgebrochen und war nach Los Angeles gezogen, um mit Art Pepper und Sonny Clark zu jammen. Und mit Paul Bley und Dave Pike spielte er im Hillcrest Club. Doch dann kam alles anders, als nämlich eines Abends ein Mann hereinspazierte, der mit seinem Plastiksaxophon die Musiker von der Bühne und das Publikum aus dem Laden blasen konnte. Kurz darauf, das war vor gut vierzig Jahren, spielten Ornette Coleman, Don Cherry, Charlie Haden und Billy Higgins die Platte „The Shape Of Jazz To Come“ ein. Und für Haden, den Bassisten, begann damit eine Biographie, die ihn heute als eine der integersten Musikerpersönlichkeiten des Jazz ausweist. Es folgten New York, Drogenabhängigkeit, Gefängnis und Entziehungskuren, Jazz gegen den Krieg in Vietnam, gegen Reagan und Bush, gegen Armut, Rassismus und selbstgefällige Dummheit.
Seit 20 Jahren lebt Haden wieder in Los Angeles. Und scheint offenbar darauf abonniert zu sein, alljährlich die Kritikerpreise für das beste Akustik-Bass-Spiel im Jazz zu erhalten. Sporadisch gab es noch Aufnahmen seines Liberation Music Orchestras, welches Haden 1969 gründete. Immer dann, „wenn die sozialen und politischen Verhältnisse es erforderten“, so Haden.
Für Haden ist Jazz eine existenziell politische Musik, was auch den Musikern bewusst sein solle. Beim Jazzfestival in Montreal vor elf Jahren gab es einen Auftritt des Liberation Music Orchestras, der Mitschnitt wurde im vergangenen Jahr veröffentlicht: eine Art Best-Of-Compilation aus dem Liberation Music Repertoire – gone but not forgotten. Charlie Haden ist mittlerweile über 60 und gibt zu bedenken, „dass allein der Versuch, ehrliche Musik zu machen, schon eine Form des Kampfes ist, dass mit Musik politisch kommuniziert werden kann – auch ohne gesungenen Text“. „The Art Of The Song“, das aktuelle Programm des 1986 gegründeten Charlie Haden Quartet West, enthält nun eine Auswahl von Hadens Lieblingssongs. Auf den ersten Blick macht Hadens Quartet West plus Kammerorchester diese Konzept-CD zu einer relativ pompös melodielastigen Angelegenheit. Hadens Spezialität jedoch, spektakuläre Projekte vor der ihr innewohnenden Eigendynamik in Schutz zu nehmen, rettet dieses Vorhaben vor den alles fordernden Tiefen der kommerziellen Schmalzfalle – nicht aber davor, irgendwie peinlich zu wirken. Die Musik auf dieser CD klingt alt und stolz, ein wenig zu gemütlich. Den Traditional „Wayfarin’ Stranger“ singt Haden selbst, eine Hommage an seine Kindertage, als er mit Uncle Haden and The Haden Family Folksongs in selbst produzierten Radioshows aus dem Farmwohnzimmer sang.
Bei Hadens aktuellen Konzerten im Rahmen der JazzNights erspart er dem Publikum solche Zumutungen weitgehend. Ist Haden der historisch Prägnantere, so kommt der hippere, coolere und aktivere Part der ersten JazzNights-Staffel vom Quartett des Gitarristen John Scofield, der mit Haden im Doppelpack auftritt.
Diese Konzertreihe will den Jazz aus den Clubs in die „schönsten und größten Musiktempel der Republik“ holen, so der Hamburger Konzertveranstalter Karten Jahnke, doch Garantien für das Gelingen gibt es keine. Jahnke sagt, dass es ohne Sponsoren heute nicht möglich sei, amerikanische Jazzstars auf deutschen Bühnen zu präsentieren. Für drei Jahre habe sich der neue Hauptsponsor Rolf Benz gerade festgelegt, und das garantiere den Fortbestand der Reihe.
Dass ausgerechnet Berlin das Schlusslicht bildet, was den Publikumszuspruch betrifft – das gleiche Programm zieht in Hamburg oder Frankfurt drei- bis fünfmal mehr Besucher als in Berlin an – zählt dabei nicht zu den frischesten Erkenntnissen der JazzNights-Veranstalter. Haden und Scofield wurden für den Auftakt der JazzNights-Saison 2000/2001 sogar extra eingeflogen – eine Investition, die sich heute kaum eines der herkömmlichen Jazzfestivals der Republik noch leistet. Jazzpolitisch gesehen lösen die JazzNights das ein, wofür Haden zeitlebens kämpft: dass dem Jazz die Bühnen und Gagen der europäischen Hochkultur nicht länger versagt bleiben mögen.
CHRISTIAN BROECKING
Weitere Termine: 13. 10. Stuttgart, Liederhalle, 15. 10. München, Philharmonie
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