■ intershop: Schwule sind okay, aber ... Ein Spaziergang mit Jay Weinstein
So stolz die Berliner auf ihren weltweit anerkannten Liberalismus und ihre Toleranz sind, wer mit Berlinern spricht, findet Risse in diesem Schild. Was etwa über den Fall des vor einigen Wochen degradierten schwulen Trainingsoffizier der Bundeswehr, Winfried Stecher, gesagt wird, erinnert stark an ähnliche Kommentare konservativer US-Republikaner über einen schwulen Juristen, der zur Reserve der US-Armee gehört.
In dem amerikanischen Fall, berichtete die New York Times, musste sich der Reservist Steve May aus Arizona, der als Lieutenant in der Armee gedient hatte, einer Untersuchung stellen. Diese bezog sich auf Kommentare, die May abgegeben haben soll, als enthüllt wurde, dass er schwul ist. May soll danach, so zitierte ihn zumindest eine Lokalzeitung, einem Kollegen, der Schwule als Krankheitsträger und familiengefährdend bezeichnet hatte, geantwortet haben: „Meine schwulen Steuergelder sind genauso viel wert wie deine. Wenn du mich nicht anständig behandeln willst, dann nimm auch nicht mein Geld.“ Die US-Armee stürzte sich auf diese Kommentare und begann eine Untersuchung, die zu Mays Entlassung aus der Reserve führen kann. Derartige Disziplinarverfahren könnten aber auch Mays politische Karriere zerstören. Der Vorsitzende der Republikaner, Mike Mannaugh, wurde in der Times mit den Worten zitiert: „Solange er nicht über seine Homosexualität redet, kann er weiterhin gewählt werden.“
Wie anders ist das bei scheinbaren Unterstützern schwuler Rechte in Berlin? Als ich Berliner in den U-Bahn-Stationen Kreuzbergs und Friedrichshains danach fragte, sprachen sie sich im Gros für Toleranz und Gerechtigkeit aus. Doch sie fügten rasch hinzu, dass Homosexuelle anders behandelt werden sollten. Der Kreuzberger Antilthakkur behauptete, dass Homosexuelle „im Herzen besser sind“ als normale Menschen. Lesbisch- oder Schwulsein sei eine persönliche Angelegenheit, die nichts mit dem Job zu tun habe. Doch: „Schwule sollten das nicht so in der Öffentlichkeit zeigen. Das verdirbt die Kinder.“ Nachdem er dann aber doch die gleichgeschlechtliche Ehe verteidigt hatte, fügte er hinzu: „Das Ganze sollte hinter verschlossenen Türen stattfinden. Küssen in der Öffentlichkeit ist idiotisch.“ Heterosexuelles Küssen in der Öffentlichkeit sei dagegen kein Problem, fand er. Aber „Homosexuelle sind anders, deshalb müssen sie sich auch anders verhalten“.
Die 59-jährige Gudrun Schneider sagte mir am Frankfurter Tor: „Es ist wichtig zu sehen, dass es diese Art Liebe gibt – das muss akzeptiert werden.“ Die öffentliche Zurschaustellung der Zuneigung zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern hält sie dagegen für „nicht normal, aber auch nicht so wichtig“. Sie glaubt, dass eine gleichgeschlechtliche Heirat legal sein sollte. Aber sie wird vorsichtig, wenn es um den Fall von Winfried Stecher, dem Bundeswehr-Trainingsoffizier, geht, der nach Bekanntwerden seiner Homosexualität an einen Schreibtischjob versetzt wurde. „Man sollte ihm erlauben, den alten Job zu behalten“, sagte sie – „und ihn beobachten.“ „Das ist nicht immer harmlos“, bemerkt sie noch und bringt dabei instinktiv das Thema sexuelle Belästigung von Studentinnen durch männliche Lehrer ins Gespräch. Fred Schmidt, ein 24-jähriger Geschäftsmann und ursprünglich Hamburger, stimmt zu. Stecher habe nicht versetzt werden müssen, sagte er, aber man hätte ihn unter Beobachtung halten sollen. „Da hätte man sehen können, ob es mit ihm klappt.“
Claus Jetz, Sprecher des Lesben- und Schwulen-Verbandes Deutschland (LSVD) sagt, dass das schwulenfreundliche Berliner Image nicht unbedingt die Realität widerspiegelt. „In einer ersten Reaktion sind die Leute gegen Diskriminierung“ meint er, „aber wenn es um die Details geht, ändern sie sehr schnell ihre Meinung“. Er nimmt an, dass die Leute den abstrakten Idealen zustimmen, aber wenn es real wird, wie in Stechers Fall oder bei dem Anti-Diskriminierungsgesetz, das im Oktober debattiert werden soll, berührt das einen Nerv, zu dem sich wenige bekennen. „Wenn sie sehen, dass Diskriminierung verboten wird, reagieren sie gegen Anti-Diskriminierungs-Regeln. Der Stecher-Fall macht klar, dass diese Gesetze gebraucht werden, weil sie die Akzeptanz gleicher Rechte mit der Zeit erhöhen werden.“
Am Görlitzer Bahnhof stellt der 26-jährige Jöram die Position Berlins als Angelpunkt des Liberalismus heraus, indem er sagt, „Schwule sind akzeptiert, je nachdem wo sie leben. Wir sind hier in der Hauptstadt. Auf dem Dorf ist das was anderes.“ Er unterstützt den konstitutionellen Schutz für schwule Rechte. Gudrun Schneider summiert ihren positiven Blick auf die heutige schwule Liberalisierung: „Wir hatten einmal ein Familienideal. Aber die Zeiten haben sich geändert. Schwule Liebe ist ein Teil dieser Veränderungen.“
Jay Weinstein lebt in New York, schreibt dort u. a. für die „New York Times“ und arbeitet derzeit als Austauschjournalist für die taz.
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