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Die schreibende Gräfin ■ Von Wladimir Kaminer

Eine erfreuliche Nachricht erreichte uns: Meine alte Moskauer Bekannte Lena ist nun Gräfin de Carli geworden und lebt in einem Schloss bei Rom. Lena war schon immer ein lebender Beweis dafür, dass man mit Fleiß und Zielstrebigkeit jeden Traum verwirklichen kann. Jahrelang ging sie im Intourist-Hotel anschaffen, in der Hoffnung, dort ihren Prinzen zu treffen. Sie suchte ihn schon, als Pretty Woman noch die Schauspielschule besuchte, sie wartete auf ihn, als die Moskauer Polizei jede Nacht auf Hurenjagd ging. Sie gab auch nicht auf, als allen anderen längst klar war, dass kein normaler Prinz jemals freiwillig Russland besuchen würde.

Die meisten Gäste im Intourist waren entweder Sexualverbrecher oder Leute, die es werden wollten. Lena überlebt sie jedoch alle. Nun ist sie, wie gesagt, in Rom und heißt Gräfin de Carli. Seit einem Jahr ist sie Witwe. Der alte Graf konnte diese Ehe nicht lange genießen. Ein Herzanfall in der Badewanne warf ihn aus dem Rennen.

Seine Familie, eine der mafiösesten Familien Italiens, machte zunächst Lena für den Unfall verantwortlich, weil sie angeblich davor schon einmal jemanden geheiratet hatte, der dann an einem Herzanfall in der Badewanne gestorben war. Die Familie wollte Rache und hätte Lena auch schon längst beseitigt, wenn Julia – die Tochter und gleichzeitig einzige Erbin – nicht da gewesen wäre. So durfte Lena unbehelligt im Schloss weiter mit ihrer Tochter leben.

Mein Freund Georg und ich waren noch nie in Rom, es gab nie einen richtigen Anlass dafür. Doch Lena in ihrer neuen Qualität als verwitwete Gräfin zu besuchen war uns Grund genug: Wir stiegen in einen Bus und fuhren los.

Im Moskauer Flachland aufgewachsen, wurden wir in den Bergen Italiens sofort seekrank. Unser Bus fuhr rauf und runter, die zwei Flaschen Weinbrand, die wir zu Rettung mithatten, waren schnell leer. Geschwächt und angetrunken stiegen wir in Rom aus.

Im Morgennebel stürzte Georg gleich in eine Baugrube, die sich als Ausgrabung am Kolosseum erwies. Unten spielten albanische Jugendliche Fußball. Georg wollte unbedingt mitspielen, die Albaner hielten das für keine gute Idee.

Kurz darauf kamen einige afrikanische T-Shirt-Verkäufer. Sie behaupteten, die Grube in der Nacht zuvor eigenhändig ausgegraben zu haben, um ihre T-Shirts mit Michelangelo-Aufdrucken besser verkaufen zu können. Plötzlich befanden wir uns mitten in einem internationalen Konflikt. Georg veranstaltete sofort eine Friedenskonferenz. Die Albaner gingen schließlich freiwillig nach Hause, und wir halfen den Afrikanern, einige antike Steine zur Ausschmückung der Grube zusammenzusuchen. Zum Dank und als Andenken schenkten sie uns zwei Michelangelo-T-Shirts.

Wir machten uns auf die Suche nach Lenas Schloss. Es war schon dunkel, als wir es entdeckten. Lena freute sich riesig. Müde nach der langen Reise, nahm ich erst einmal ein Bad – in der Wanne, in der der Graf gestorben war. Anschließend zog ich auch noch seine frisch gebügelten Sachen an – davon gab es drei Wandschränke voll.

Lena klagte, als Gräfin ein langweiliges Leben führen zu müssen. Sie dürfe keine fremden Männer anbaggern. Die Familie ihres Mannes hatte extra einen Leibwächter für Lena engagiert, der sie von Männer fernhielt. Frustriert widmete sich Lena der Literatur, seit einem Jahr saß sie bereits an einem erotischen Roman, in dem sie ihre Lebenserfahrungen verarbeiten wollte.

Ich hatte die Ehre, der erste Leser ihres noch unfertigen Werks zu sein. In der großen, runden Marmorbadewanne liegend, las ich das Manuskript, während Georg im nächtlichen Garten halb nackt Mandarinen von den Bäumen pflückte. Der Roman handelte von einem englischen Adligen, der sich in ein armes Dorfmädchen verliebt und es auf seine Insel im Atlantischen Ozean mitnimmt. Dort reitet der Engländer den ganzen Tag auf einem weißen Pferd herum und bringt dem Mädchen ständig frische Rosen. Langsam kommen sich die beiden näher. Als es interessant wurde, platzte jedoch der Bodyguard rein und schmiss Georg und mich aus dem Haus.

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