piwik no script img

intershopWLADIMIR KAMINER über Schwanger-Werden in Prenzlauer Berg

Ein Brigade von Don Juans und ein Mickey Maus

So hat das ganze angefangen: Eines Tages, als wir wie immer unsere Kinder zum Kindergarten brachten, bemerkten wir auf einmal, dass in unserem Stadtteil viel mehr Frauen als Männer auf den Straßen hin und her laufen – scheinbar ziellos. Eigentlich hätten wir uns schon damals fragen können: Wo kommen die vielen Frauen her? Sind Sie aus Westdeutschland zugezogen oder wurden sie hier geboren? Hat diese satte Frauen-Mehrheit etwa etwas mit dem naheliegenden Multiplexkino Cinemaxx zu tun? Und welche Auswirkungen könnte sie zukünftig auf das Leben in Prenzlauer Berg haben? Wir haben uns aber all diese Fragen gar nicht gestellt, sondern uns nur gesagt: Sieh mal an, so viele Frauen!

Einige Monate später las ich in einer Zeitung, der Stadtteil Prenzlauer Berg habe die höchste Schwangerschaftsrate in der ganzen Stadt. Und bei genauerem Hinsehen schien es auch so, als würde die Statistik diesmal stimmen: All die Frauen rings um das Cinemaxx waren auf einmal schwanger, die meisten sogar hochschwanger. Aber auch diese soziographische Besonderheit unseres Stadtteils nahmen wir zunächst überhaupt nicht ernst. Wir machten nur kleine Witzchen darüber: dass sich wahrscheinlich ein richtiger Don Juan bei uns angesiedelt hatte oder noch wahrscheinlicher: eine ganze Brigade von Don Juans, die – als ausländische Bauarbeiter getarnt – all die schönen, jungen Frauen hier verführten.

Vor kurzem haben wir diesen ehrenvollen ersten Platz in der Schwangerschafts-Statistik aber wieder verloren: die meisten Frauen haben inzwischen ihre Babys geboren. Nun rollen viele bunte Kinderwagen durch die Straßen. Das blieb auch für das Geschäftsleben in unserer Gegend nicht ohne Folgen: Sexshops und Frauendessous-Boutiquen machten dicht, stattdessen entstanden etliche Bioläden und etwa ein Dutzend Second- Hand-Shops für Kinderklamotten, einer davon direkt vor unserem Haus. Am Ladeneingang stellten die Besitzer als erstes eine riesige, aufgeblasene Mickey Mouse mit einem dämlichen Grinsen auf. Sie war den ganzen Tag von unserem Balkon aus zu sehen. Unsere Kinder waren vollkommen überwältigt von diesem taiwanesischen Gummimonster – wir dagegen eher angeekelt.

Für zwei Monate versank unsere zuvor so friedliche Kleinfamilie in einem Mickey-Mouse-Krieg. Die Kindererziehung ist ein sehr komplizierter Vorgang. Es brauchte sehr viel Sensibilität und Taktgefühl, um den Kindern glaubhaft zu machen, dass diese Mickey Mouse Scheiße war – und dazu noch unverschämterweise 79 Mark 50 kosten sollte! Die Kinder wollten oder konnten uns nicht verstehen. „Warum quält ihr uns so?“ jammerten sie, „kauft doch einfach den Scheiß und basta!“

In diesem Krieg waren wir zunächst völlig hilflos. Doch dann, als wir schon fast die Hoffnung aufgegeben hatten, geschah plötzlich ein Wunder: Die Mickey Mouse – diese hässliche, schrille Gummiblase – war über Nacht verschwunden. Vielleicht hatte sie jemand gekauft. Na dann viel Spaß mit dem täglichen Aufblasen! Aber wahrscheinlicher ist, dass ein Betrunkener im Vorbeigehen einfach seine Zigarette an ihr ausgedrückt hatte, woraufhin die Mouse geplatzt war. Gott, waren wir froh.

Zur Wiedergutmachung und als Zeichen des Friedens kauften wir noch am selben Tag für unsere Kinder eine „Barbie, die Katzenfreundin“ sowie eine „Baby born Puppe“. Letztere muss mit einem speziellen Brei gefüttert werden. Sie kann schwitzen, weinen, schreien, lachen, kacken und pinkeln und das alles gleichzeitig. Auch sie ist nicht besonders hübsch und hinterlässt ständig Flecken auf dem Boden, aber sie grinst zumindestens nicht so blöd.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen