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Archiv-Artikel

integration, gipfel etc. Ein Projekt für die große Koalition

Showveranstaltung? Die Grünen-Chefin hätte sich eine andere Nörgelvokabel einfallen lassen sollen. Eine Show, die einschließt, dass Deutschland als Einwanderungsland anerkannt wird, kann nicht ganz falsch sein. Dass die Grünen außerdem ruhig selbst mehr Show um die Integrationspolitik hätten machen können, als sie noch an der Macht waren, hat zudem Eberhard Seidel gestern in dieser Zeitung überzeugend aufgeschrieben.

Der Integrationsgipfel im Kanzleramt geht in Ordnung – als Versuch, die zeitweise heftige Debatte über dieses Thema praktisch werden zu lassen. Aber der Gipfel verengt zugleich die Debatte wieder. Denn zumindest untergründig handelte sie nicht nur von Migranten. Bevor die WM kurzerhand alle Bevölkerungsgruppen auf Zeit in eine Public-Viewing-Gemeinschaft integrierte, hatte diese Gesellschaft, wenn auch etwas verschwiemelt, dazu angesetzt, die Ganz Große Integrationsdebatte zu führen.

Unter dem Stichwort Unterklasse machte man sich Gedanken über die Frage, wie bildungsferne Bevölkerungsgruppen auch mit deutschstämmigem Hintergrund in die Mitte der Gesellschaft zu führen seien. Rund um die Generation Praktikum ließ sich die Verunsicherung darüber abgreifen, dass junge Akademiker Schwierigkeiten haben, sich jenseits prekärer Verhältnisse in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Auch der furiose Start von Ursula von der Leyen hatte, wenn man so will, einen integrationspolitischen Aspekt: Wie kriegt man die gesellschaftliche Integration von Frauen in Zeiten hin, in denen Mutterschaft nicht mehr als ausreichendes Integrationsmodell gilt? Mit der Großen Koalition scheint allgemein aufgefallen zu sein, dass Integration per se gar nicht leicht zu haben ist. Integrationsprobleme, so sieht es aus, sind für alle da.

Erst wenn man alle diese Debatten aufeinander bezieht, ergibt sich ein rundes Bild. Wer Praktikanten zugesteht, dass Integration nur über Bildung und Jobs funktioniert, kann Migranten diese Einsicht nicht vorenthalten – und muss sich auch bei ihnen über Bildung und Jobs Gedanken machen. Wer wiederum bei Migranten so hohe Integrationsstandards ansetzt, wie sie sich in den Einbürgerungsfragen nach Toleranz gegenüber Minderheiten und Andersdenkenden äußerten, muss diese Ansprüche auch an die übrige Bevölkerung stellen.

Überhaupt: Vielleicht geht die Integrationsdebatte erst richtig los, wenn alle migrationspolitischen Hausaufgaben endlich erledigt sind. Die Frage ist, wie Integration möglichst vernünftig für möglichst viele Menschen zu bewerkstelligen ist, und hier harren viele Aspekte noch der Bearbeitung. Hey, große Koalition, falls bei euch neben allem Pragmatismus noch ein Projekt gesucht wird: Die große Integrationsdebatte wäre eines. Und gar kein schlechtes. DIRK KNIPPHALS